Das Grüne Band lässt uns nicht los: 372 km radeln vom Südharz in die Rhön

Ein Reisebericht von Volker Otter

2022 waren wir es angegangen. Wir radelten 544 Kilometer vom Nordharz bis nach Travemünde. Den Harzer Grenzweg waren wir im selben Jahr zu Ostern bei teils winterlichen Temperaturen gewandert, die Kolonnenwege oberhalb des Werratals kannten wir von vielen Wanderungen und Tagestouren zu Fuß und mit dem Rad und die ehemalige Grenze entlang der vielen Kuppen in der Rhön hatten wir im selben Jahr im Frühjahr bei hochsommerlichen Temperaturen mit dem Mountainbike mit Tagesgepäck mit jeder Pore „erschwitzt“. Die südliche Etappe vom Harz bis nach Hof (oder andersrum) mit ihren unendlich vielen Höhenmetern erschien uns danach mit großem Gepäck als utopisch. Und dennoch, was wäre das Lebe ohne Utopien? Denn Utopien können Wirklichkeit werden, im Gegensatz zu Illusionen. Der Gedanke nagte an uns. Und wir trauten uns! Orientierung gab uns wieder der hervorragende Radtourenführer von Stefan Esser: Radtouren am Grünen Band – in 32 Etappen von Tschechien bis zur Ostsee. Aber Achtung: Das Grüne Band ist kein ausgeschildeter Radfernweg! Wir sind in Teilen dem Iron Curtain Trail (EV 13) gefolgt, in weiten Teilen aber auch „nur“ auf unbekannten, unbeschilderten Feldwegen und kleinen Landsträßchen und später auf dem Werratal- und Ulstertal-Radweg gefahren. Die täglichen Höhenmeter rangierten zwischen 80 Metern (im Werra- und Ulstertal), über 500 Meter plus bis hin zu 1200 Metern im Eichsfeld und Harzvorland. Manchmal sportlich, aber machbar!

2 Blick auf Burg Ludwigstein, Abfahrt zur Werra

Ja, und wir haben etwas gemogelt. Die Teile des Grünen Bandes links und rechts des Werra- und des Ulstertales kannten wir ja schon. Wir haben die Berge und die mit ihnen verbundenen Höhenmeter aus den schönen Flusstälern heraus angelächelt und ihnen zugewunken…

Unser erster Abschnitt des Südteils des Grünen Bandes führte uns in fünf Etappen von Walkenried im Südharz nach Gersfeld in die Rhön und weiter (jetzt nicht mehr am Grünen Band) an der Fulda entlang nach Bad Hersfeld. Für uns waren Start- und Endpunkt prima mit der Bahn erreichbar.

Unsere 1. Etappe: Von Walkenried nach Reiffenhausen, ca. 77 km

7 Spaß war früherDer Bummelzug spuckt uns in Walkenried aus. Hier sind wir plötzlich! Und so fahren wir los, wechseln immer wieder zwischen Niedersachsen und dem Eichsfeld. Wer aber denkt, das Eichsfeld sei flach, da ja nicht mehr im Harz, der irrt. Trotzdem kommen wir gut voran. Die Sonne scheint immer wieder durch die Wolken bei angenehmen Temperaturen. Es geht über Hügel, kleine Waldabschnitte, durch kleine Dörfer, über Feldwege mit mörderisch leckeren Mirabellen am Wegesrand (immer wieder). Am frühen Nachmittag landen wir in Duderstadt mit seiner wunderschönen Fachwerkkulisse, gerade richtig für eine Latte Macchiato in der Sonne und für die, die Zeit haben, auch für einen lohnenden Besuch im Grenzlandmuseum. Und schon wird umgeplant. Unser geplantes Etappenziel Nesselröden erscheint uns zu nah. Wir erweitern auf Reiffenhausen. Über Böseckedorf, Etzenborn, Glasehausen und Weißenborn mäandieren wir durch das ehemalige Grenzgebiet nach Bischhagen, auf und ab und wieder hinauf und wieder hinab. Das Grüne Band macht seinem Namen hier alle Ehre. Ein grüner Baumstreifen zieht sich durch die weiten Felder. Unser Vorhaben, ab Bischhagen dem (leider zugewachsenen) Kolonnenweg zu folgen, lassen wir bald sein. Wir kehren um und folgen im ersten Regen der Straße nach Bremke, biegen links nach Lichtenhagen ab und haben von da an einen guten Blick auf die nahende Gewitterfront, die sich unweigerlich auf uns zu wälzt. Die Steigung bei Ludolfshausen brennt in den Beinen, weil wir Tempo machen. In Reiffenhausen noch einmal den Berg hinauf. Wir schaffen es gerade unter das Vordach der (geschlossenen) Campinggaststätte, als ein Wolkenbruch sondergleichen auf uns niedergeht. Punktlandung! Der kleine Campingplatz direkt am Wald, beschaulich und für Radler mit einer überdachten Sitzmöglichkeit ausgestattet, die Sanitäranlagen bestens, der Campingplatzchef supernett und auch ein Bier und ein Radler lassen sich noch organisieren. Unser Essen auf dem Kocher zubereitet mit Mirabellennachtisch, könnte nicht leckerer schmecken. Alles bestens also.

Genussradeln an der Werra, bevor der Regen kommt
Genussradeln an der Werra, bevor der Regen kommt

Unsere 2. Etappe: Von Reiffenhausen nach Wanfried, ca. 62 km

In der Nacht regnet es. Der Morgen erwartet uns feucht, neblig und kühl. Das Zelt ist klatschnass. Der Morgenkaffee schmeckt trotzdem oder erst recht! Wir sind früh auf, denn es ist ausgiebig Regen angesagt ab dem frühen Vormittag und wir wollen zumindest im Trockenem loskommen. Nach Besenhausen an der Bundesstraße ist es nicht weit. Hier wartet ein unscheinbares Holzhäuschen auf uns, das als „Tor zur Freiheit“ Geschichte schrieb. Es handelt sich um ein Überbleibsel (späteres Zollhäuschen) eines Übergangsknotenpunktes zwischen den verschobenen Welten der Nachkriegszeit. Hier wanderten Flüchtlinge und Kriegsheimkehrer von Ost nach West und von West nach Ost, wurden registriert und mit Essen und medizinisch versorgt, alles um dieses Häuschen herum. Hier entschieden sich Schicksale und neue Lebenswege. Später wurde aus diesem Knotenpunkt das große Auffanglager Friedland, wenige Kilometer weiter nördlich, das bis heute besteht.

Das Tor zur Freiheit, Besenhausen
Das Tor zur Freiheit, Besenhausen

Vom Leinetal biegen wir ab ins Steinbachtal und radeln hinauf zur Burg Hanstein, hoch über dem Werratal. Danach laufen unsere Bremsen heiß, denn der Weg hinunter in Tal ist steil. Der Kolonnenweg kreuzt. Der Werratal-Radweg ist wie immer herrlich, die Werraschleife vor Lindewerra verläuft über einen schmalen Weg direkt am Fluss. Der Blick zurück zeigt, welch hellgrüne, breite Narbe die ehemalige Grenze in den dunkelgrünen Buchenwald schlägt. In Allendorf halten wir Rast auf dem Marktplatz. Und dann setzt der Regen ein, wie versprochen, und hört nicht mehr auf. In Eschwege trocknen wir uns notdürftig in einem Café, der Regen ist fest abonniert auf unserer Wetter-App. Wir fahren weiter nach Wanfried und haben Erbarmen mit uns. Wir buchen uns eine Unterkunft.

Unsere 3. Etappe: Von Wanfried zum Angelteich bei Pferdsdorf im Ulstertal, ca. 94 km

Wir starten mit einem getrockneten Zelt nach einer Nacht in einer trockenen, aber ansonsten sehr mittelmäßigen Unterkunft in Wanfried. Und es regnet zunächst mal nicht! Das ist doch schon mal was! Vor uns liegt einer der schönsten Abschnitte des Werratal-Radweges, der Werradurchbruch. Zuvor erleben wir noch den irrwitzigen Grenzverlauf. Großenburschlar liegt in einem Zipfel westlich der Werra, eine ehemalige DDR-Enklave, für die dann zur Versorgung extra eine Passstraße über den Heldrastein gebaut werden musste.

Wir folgen dem Werraverlauf durch die kleinen Fachwerkstädtchen Heldra und Treffurt und fahren langsam in den Werradurchbruch hinein. In Falken machen wir eine kleine Pause beim Bäcker am großen Dorfanger unter alten Bäumen. In der Werra stehen noch die alten Fundamente einer ehemaligen Eisenbahnverbindung, die nach dem Krieg gesprengt wurde. Vor Probsteizella (prima Campingplatz) rücken hohe Felswände nahe an den Fluss heran. Bis Mihla fahren wir über Frankenroda an einem einsamen Teilstück der Werra entlang, hinter Buchenau entscheiden wir uns für die linke Flussseite und bleiben leicht geländegängig direkt am Fluss durch schönen Wald auf schmalem Pfad bis nach Creuzburg. Kurz danach genießen wir lecker Kaffee und Kuchen in Wilhelmsglücksbrunn, mit Blick auf viele klappernde Störche, die ihren Nachwuchs großziehen. Ab Hörschel setzt ein ständiger Wechsel von schweren Schauern, Wolken und sonnigen Abschnitten ein. Regensachen an-, Regensachen ausziehen, wieder anziehen, wieder aus, irgendwann lassen wir die Regensachen einfach an, tropisches Klima unter den Klamotten ist ja auch was! Das Werratal öffnet sich. Endlose Wiesen mit vielen Störchen warten auf uns. Die Kilometer fliegen vorbei. Hinter Dankmarshausen kommt der Monte Kali in Sicht, riesige Abraumhalden aus dem Kalibergbau, eine Riesen-Umweltsauerei, da der Regen Unmengen des Salzes löst und ins Oberflächen- und Grundwasser gelangen lässt. Trotzdem atemberaubend und auch irgendwie schön, wie sich der weiße Berg auf der anderen Flussseite direkt fast senkrecht erhebt!

Monte Kali
Monte Kali

In Heringen, einer Kleinstadt, die irgendwie in einer „Zeitfalle“ in den vergangenen vier Jahrzehnten festzuhängen scheint, absolvieren wir wieder eine Punktlandung. Ein sintflutartiger, ca. 30 minütiger Gewitterbruch setzt die Straßen unter Wasser, gerade als wir uns unter das Vordach einer Bäckerei mit Café flüchten können. Aus dem Gewitterbruch wird normaler Regen. In Phillipstal-Vacha wollten wir uns eigentlich die Brücke der Einheit und das Haus Hoßfeld anschauen, durch das die Grenze hindurch ging. Wir entscheiden uns jedoch anders und visieren direkt das Ulstertal an. Und nur fünf Minuten später kommt unsere nächste Punktlandung. Wir retten uns unter ein Tankstellendach, als ein Hagelunwetter mit z.T. Walnussgroßen Körnern losbricht, das uns nicht an der Brücke der Einheit oder am Haus Hoßfeld hätte erwischen dürfen. Bei Regen fahren wir ins Ulstertal ein. Campingplätze sind nicht in Sichtweite, heute muss es irgendwie so klappen. Dass es irgendwann aufklart und die Sonne hervorkommt, ist schon einmal ein hoffnungsfrohes Zeichen. Als wir dann kurz hinter Pferdsdorf eine große Schutzhütte im weiten Wiesental an einem schönen Teich erblicken, wissen wir, dass wir angekommen sind.

Unsere Schutzhütte am Pferdsdorfer Angelteich an der Ulster
Unsere Schutzhütte am Pferdsdorfer Angelteich an der Ulster

Um sicher zu gehen, rufen wir noch den Angelverein an, zu dem der Teich gehört und bekommen das erlösende „Klar, könnt ihr da zelten!“ Wenig später kommt der Angelverein in persona vorbei (nicht derjenige, mit dem wir telefoniert hatten) und erzählt uns lang und ausgiebig aus seinem Pferdsdorfer Leben, dem Leben im Angelverein, dass er jeden Abend hier sitzt und seine Fische füttert, was er heute gegessen hat und wieso das Verschwinden seiner Moorhühner aus dem Teich für ihn ein Fall für die Polizei sei. Tief menschlich! Irgendwann aber haben auch wir die Möglichkeit, uns ungestört in der Sonne zu rekeln, zu trocknen, einen Spaziergang am wunderschönen Flüsschen zu machen, zu kochen und dann bei einsetzender Dämmerung glücklich in die Schlafsäcke zu fallen. Morgen ist wieder Regen angesagt.

Störche überall
Im Land der Störche

Unsere 4. Etappe: Vom Pferdsdorfer Angelteich nach Gersfeld, ca. 59 km

Unser Zelt bauen wir noch nass vom Tau und einem nächtlichen Schauer ab und brechen früh auf, ab 8.30 Uhr ist Regen für den Rest des Tages angesagt und die Wetter-App hält, was sie verspricht.

Wir folgen weiter der Ulster, fahren an Tann und Hilders vorbei nach Wüstensachsen. Ab hier wird es zunehmend steiler. Die Weiten der Rhön versacken in Wolken und Nebel. Spaß ist im Dauerregen heute schon lange nicht mehr. Irgendwann sind wir oben, radeln an der Ulsterquelle vorbei zum NABU-Haus am Roten Moor, wo wir eigentlich auf ein Getränk einkehren wollten. Als wir unter dem Vordach zuerst einen Biss in unser Mittagsbrot machen, öffnet sich sofort ein Fenster. Eine unfreundliche Stimme fordert uns barsch auf, das Gelände sofort zu verlassen, ob wir denn die Schilder nicht gelesen hätten und ob wir denn keinen Anstand hätten. Wir sind perplex, stellen uns auf den leeren Parkplatz in den strömenden Regen, essen unser im Regen durchweichendes Brötchen schnell zu Ende, satteln auf und verlassen diesen unfreundlichen Ort so schnell wie möglich. Durch tiefe Pfützen fahren wir ab nach Gersfeld, einfach mal laufen lassen. Ab ins Trockene!

Da, wo die Fulda noch fließen kann
Da, wo die Fulda noch fließen kann

Unsere 5. Etappe: Von Gersfeld nach Bad Hersfeld auf dem Fuldaradweg, ca. 80 km

Über Nacht haben wir uns getrocknet und fahren im morgendlichen Schauerwetter den Oberlauf der hier noch bachähnlichen Fulda hinab nach Fulda. Das geht schnell. In Fulda befragen wir die Wetter-App, die uns verrät, dass es zunehmend aufklaren wird, bei ein paar Chancen auf erfrischende Schauer. Das nehmen wir in Kauf und fahren eines der schönsten Stücke des Fuldaradweges nach Bad Hersfeld. Hier ist die Fulda noch ein klarer Kleinfluss, der über weite Strecken unreguliert fließen darf und den wir aus der Kanuperspektive her kennen. Umso schöner also, den Fluss jetzt auch vom Radweg aus begrüßen zu dürfen und das bei zunehmend sonnigen Wetter mit nur einer Schauerunterbrechung. Ein guter Abschluss also unseres ersten Abschnittes am Grünen Band in diesem Jahr. In zwei Wochen soll es weitergehen, von Hof zurück in die Rhön. Und vielleicht wird es dann ja irgendwann mal wieder Sommer!

Kennst du das Grüne Band oder bist es vielleicht schon selbst gefahren? Wir freuen uns, wenn du deine Erfahrungen mit uns teilst. 

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