Fernwanderwege in Deutschland – unsere Wanderung auf dem Harzer Grenzweg am Grünen Band

Ein Reisebericht von Volker Otter

Das Grüne Band hat in seiner Metamorphose von purer ideologisch verbrämter Menschenverachtung hin zu der Idee einer verbindenden grünen Ader eine Entwicklung hingelegt, die niemanden kalt lassen kann. Menschen haben sich hier engagiert, um einerseits zu Verantwortung zu mahnen, zu gedenken und andererseits aus tiefen Wunden, etwas Neues entstehen zu lassen, eben diese verbindende Linie mit einer tiefen Geschichte und einer wunderbaren Natur. Seit Andreas Kieling das Grüne Band von Süden nach Norden abgewandert ist (und ich das Buch darüber verschlungen habe), war es zunächst mein, dann unser Projekt, das Grüne Band vom Harz bis zur Ostsee mit dem Fahrrad zu bereisen, die Mittelgebirge jedoch in Stippvisiten zu Fuß und mit dem MTB zu erkunden. So beginnen wir mit dem Harz und nehmen uns von Freitagmittag bis Sonntag Zeit, um von Zorge bis Bad Harzburg (etwas ab vom Grünen Band, aber mit Busanbindung) den Harz auf dem Harzer Grenzweg zu durchqueren. Der Harzer Grenzweg ist ein 90 Kilometer langer Themenwanderweg und Teil des Grünen Bandes. Wir mieten uns in Braunlage als zentralem Ort ein und werden die Rücktouren und die Fahrten zu den Einstiegsorten jeweils prima mit öffentlichen Verkehrsmitteln bewältigen (die Kurkarte ermöglicht die kostenlose Nutzung von Bussen).

Der Harzer Grenzweg

Unsere erste Etappe – von Zorge (Parkplatz an der Whiskey Destillerie) nach Hohegeiß (ca. 12 km)

Tour 1 endlich gefunden - der Harzer grenzwegIm April ist es im Harz eher winterlich frisch als frühlingshaft. Wir kommen mittags in Zorge an, steigen über den Bergwiesenweg ein und verpassen irgendwo auf dem ersten Kilometer den Abzweig mit der blauen Kreuz-Markierung, die uns auf den Harzer Grenzweg leiten soll. Selbst unser GPS sagt uns, ja hier müsst ihr abbiegen, aber wohin, wenn kein Pfad ersichtlich? Sei’s drum, so folgen wir dem Elsbach und sehen oberhalb der Hundert Morgen Wiese, steil oben am Hang unseren Weg, das fängt ja gut an…bei der nächsten angedeuteten Wegschneiße biegen wir dann über den Bach nach rechts ab und schlagen uns z.T. querfeldein den Hang hoch…und treffen weit oben tatsächlich auf den Harzer Grenzweg, hier noch ein schmaler Pfad, der sich entlang einem Grat mit z.T. schönen Ausblicken windet, hier oben gibt es sie noch, die schwarz-rot-gelben Grenzpfähle in freier Wildbahn. Auch stolpern wir immer wieder über Granitblöcke, auf denen einseitig „DDR“ graviert ist. Die damalige BRD hatte sich geweigert, ihr Emblem auf die andere Seite zu gravieren, da dies einer Anerkennung der DDR gleichgekommen wäre…also nur DDR, hat früher dort sowieso niemand lesen können.

Tour 1 einseitig gravierte Grenzsteine
Einseitig gravierte Grenzsteine

Der Weg führt weiter über Waldpfade und teilweise den Kolonnenweg bis zum Dreiländerstein an der B4. Von hier an führt der Harzer Grenzweg für mehrere Kilometer direkt auf dem Kolonnenweg parallel zu Bundesstraße, die man aber gar nicht weiter mitbekommt. Was uns hier schon auffällt sind die großen gerodeten ehemaligen abgestorbenen Fichtenflächen, wüstenartig rechts, links junger Birkenwald und junge, nachwachsende Nadelbäume. Was uns beinahe nicht auffällt beim Laufen und Erzählen ist der Fuchs, der plötzlich fünf Meter vor uns steht, einfach so…und still verschwindet. Ein Hinweisschild weist auf geschleiftes ehemaliges Sanatorium hin und dessen Gründer, der den Truppen mit einer weißen Fahne entgegenging, damit sein Werk nicht zerstört würde. Hohegeiß, ein kleiner, etwas verloren wirkender Flecken (früher am … der Welt, so direkt an der alles teilenden Grenze), dafür aber mit einem wunderbar kitschigen Café mit gigantisch gutem Kuchen und sehr gutem, frisch gebrühtem Tee mit Rosenblättern, direkt an der Abzweigung der Straße zurück nach Zorge, die Bushaltestelle fast in Sichtweite. Der Bus bringt uns schnell zurück nach Zorge zum Auto. Jetzt noch schnell in die Ferienwohnung nach Braunlage, die Füße hochlegen.

Lecker Kuchen in Hohe Geiß
Lecker Kuchen in Hohegeiß

Unsere zweite Etappe – von der Bremkebrücke nach Hohegeiß (ca. 12,5 km)

KolonnenwegschneiseVon Braunlage aus nehmen wir den Bus Richtung Elend und fahren zu unserem heutigen Einstieg am Gedenkstein Grenzöffnung an der Bremkebrücke (so heißt die Haltestelle an der B27). Leider hat es sich die Nacht über eingeregnet, sodass wir in voller Regenmontur starten müssen, dafür ist es aber nicht kalt. Wir folgen einem Kleinflussjuwel, der Bremke durch ihr idyllisches Tal. Wenn hier Wisente grasten oder wir Fischotter beim Jagen beobachteten, würde sich das irgendwie folgerichtig anfühlen, Kopfkino, herrliche Landschaft. Ein Hinweisschild bringt uns zurück auf den Boden der geschichtlichen Tatsachen und verweist auf die Minentoten im Wald neben uns. Unvorstellbar, dieses unberührte Tälchen früher eine mörderische Grenze. Die Bremke mündet in die Warme Bode, der wir über den Kolonnenweg bis zur B242 und bis kurz vor Sorge folgen, da wir wieder einmal den Weg verloren haben. Wir queren die Straße und gelangen ohne großen Umweg wieder auf den Harzer Grenzweg zum Sorger Freiland Grenzmuseum. Hier wurden die kompletten Sperranlagen erhalten. Nach einem Grenztruppenturm mit den hohen Metallgitterzäunen nehmen wir uns auch noch Zeit für den Ring der Erinnerung, ein naturhaftes Denkmal, bevor wir dem Kolonnenweg schnurgerade durch den Wald folgen. Erklär- und Schautafeln mit Multimedia-Guide zur Grenze komplettieren die tolle Arbeit des Grenzmuseum-Sorge e.V. Mit einer Punktlandung kommen wir wenig später in Hohegeiß an, unser Bus zurück nach Braunlage kommt fünf Minuten später, wenn das mal kein Timing ist.

Grenzzaun im Sorger Grenzmuseum
Grenzzaun im Sorger Grenzmuseum

Unsere dritte Etappe – von Braunlage nach Bad Harzburg (ca. 23 km)

Wieder steigen wir bei der Bremkebrücke ein, diesmal Richtung Norden. Die Wolken hängen tief, Niederschlag ist fast greifbar. Wir folgen dem Kolonnenweg und erleben bald unser blaues Wunder. Das Bild in unseren Köpfen von herrlichen Nadelwäldern wird gestört. Während direkt in der Senke der Bremke dichter Nadelwald vorherrscht, bieten die kompletten Hänge rechts von uns einen wüstenartigen Anblick, die Hänge sind gerodet, Stumpen ragen in die Luft, man könnte weinen. Links und rechts des Weges meterhohe Fichtenstapel, die von großen LKWs abtransportiert werden. Über 90% des Nadelwaldbestandes des Harzes sollen abgestorben sein. Vom Wurmberg haben wir einen vernichtenden Blick hoch zum Brocken. Der komplette Wald ist abgestorben, der Harz ist nicht mehr der, der er einmal war. Nun könnte man verzweifeln.

Gerodete Wüsten im Harz
Gerodete Wüsten im Harz

Wir stapfen durch Schneefelder und beobachten die Grenzschneise, auch hier große Totholzbestände, aber auch ein junger, sich regenerierender Wald, der Hoffnung macht. Vielleicht entsteht hier eine neue Wildnis, ganz von allein, wenn der Mensch sich endlich einmal raushält. Für den Nationalpark scheint das hoffentlich der Fall zu sein. Hier bleiben die abgebrochenen Stämme stehen, junger Wald kommt nach. Spannend werden die nächsten Jahrzehnte sein, wie er sich entwickeln mag. Am Dreieckigen Pfahl trafen früher mehrere Sperranlagen zusammen, die Schneisen sind imposant. Durch immer mehr Schnee wandern wir zum Eckersprung. Hier verlassen wir den Harzer Grenzweg, der zum Brocken hinaufführt, um dem eigentlichen Grenzverlauf entlang dem Grenzflüsslein Ecker zu folgen (Blauer Strich-Markierung). Auf schmalem, knöcheltief matschigen, gewundenem Pfad, der manchmal selbst zum Bach wird, folgen wir der Ecker durch ihr wildes, unberührtes Tal. Wie kann es sein, dass hier in dieser herrlichen Wildnis eine todbringende Grenze war? Auch hier wandern wir durch ewige Totholzbestände, aus deren Unterholz neues Grün Hoffnung auf die Zukunft macht. Beim Skidenkmal biegen wir zum Eckerstausee ab (Blaues X-Markierung) und folgen dem Pfad entlang dem Stausee, auf dem früher die Grenze verlief, bis zur Eckerstaumauer. Wir folgen der Ecker in ihrer schönen Schlucht, bis der Teufelsstieg links zum Molkenhaus aus der Schlucht herausführt. Dort machen wir erst einmal Pause und kehren ein. Von hier nehmen wir wieder die Blaue X-Markierung, die uns zügig nach Bad Harzburg führt. Wieder mit einem guten Timing bekommen wir den Bus, der uns zurück nach Braunlage bringt. Aus dem Busfenster heraus lassen wir noch einmal die ganze klimawandelbedingte Waldmisere auf uns wirken. Es regnet in Strömen, die verwüsteten, toten Hänge verweben sich mit den tiefhängenden Wolken im Dämmerlicht, Förster möchte man jetzt nicht sein. Dennoch sind wir gespannt, wie sich der Wald selbst neu erfinden wird, klar ist, der Klimawandel ist längst da. Der Wald hat vermutlich die bessere Antwort darauf, als an Wirtschaftsforsten interessierte Menschen.

Neuer Wald entsteht im Eckertal
Neuer Wald entsteht im Eckertal

Wie seht ihr die Situation im Harz? Macht es euch traurig durch den toten Wald zu laufen oder habt ihr die Hoffnung, dass sich die Natur ihren Lebensraum zurückerobert. Wir freuen uns über einen Kommentar von euch.

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