Wie in zahlreichen anderen Gebieten schlägt der Fernwanderweg von Eisenach nach Budapest, kurz EB genannt, auch zwischen Kleinpolen und der Ostslowakei einen mächtigen Bogen, den wir uns dieses Mal ersparen, indem wir auf den E 3 wechseln. Der EB erreicht die Ostslowakei am Duklapass, während der E 3 hier direkt auf der Grenze Richtung Westen abbiegt. Somit überschreiten wir die Grenze zur Slowakei etwas weiter westlich in der kleinen Ortschaft Obrucne. Das Gebiet zählt zu den Niederen Beskiden, deren Name vermuten lässt, dass die Berge niedriger sind, was sich für mich jedoch nicht so anfühlt. Ehrlich gesagt empfinde ich das ständige Auf und Ab im Norden der Ostslowakei genauso ermüdend wie in den polnischen Bergen. Wie ich im vorherigen Reisebericht schon erwähnt habe, ist es in diesem schwach besiedelten Gebiet nicht so einfach an Trinkwasser zu kommen. Der E 3 sowie der EB führen im Norden der Ostslowakei über den Bergkamm des Čergov-Gebirges. Auch wenn in diesem Gebirge zahlreiche Flüsse und Bäche entspringen, gibt es auf dem Wanderweg über den Hauptkamm wenige natürliche Wasserquellen, die wir bei den aktuell hohen Temperaturen (30 +) so dringend bräuchten. Im kleinen Grenzdorf Obrucne fragen wir daher nach Wasser, um alle unsere Flaschen noch einmal aufzufüllen. Acht Liter müssen uns (für 2 Personen)einen Tag reichen, da die nächste Wasserstelle etwa eine Tagesetappe entfernt liegt. Trotzdem teilen wir uns unser Wasser sehr genau ein, weil ich gelernt habe, dass man sich niemals auf eine natürliche Wasserquelle verlassen darf. Und so trinken wir nur so viel, dass wir bis zur besagten Quelle noch einen Notvorrat an Wasser haben, falls diese Quelle versiegt sein sollte. Bei den aktuellen Temperaturen fühlt es sich nicht gut an, Trinkwasser sparen zu müssen und es macht sich in mir langsam Panik breit bei dem Gedanken, dass die besagte Quelle kein Wasser führt. In diesem Fall müssten wir nämlich den Bergkamm verlassen, um in tiefer gelegenen Gegenden Wasser zu finden. Angesichts dessen fällt mir fast ein Stein vom Herzen, als wir die Quelle erreichen und aus dieser kühles, klares Wasser sprudelt.
Der EB in der Ostslowakei – von Bären und eher alltäglichen Gefahren
Auch im Čergov-Gebirge im Nordosten der Slowakei soll es Bären geben. Beweise dafür finden wir auf Wildtierpfaden, die wir kreuzen, als Abdrücke von Tatzen im schlammigen Waldboden. Wir bleiben daher vorsichtig und laufen geräuschvoll mit unserer bimmelnden Bärenglocke durch die Landschaft. Dabei vergessen wir fast, dass es viel realere Gefahren im Gebirge gibt als Braunbären. Die hohen Temperaturen der letzten Tage haben offenbar ihr Limit erreicht und beginnen mit kühleren Luftmassen zu konkurrieren. Bei ihrem Ringen um die Vormachtstellung entladen sie sich in heftigen Gewittern. Schon in den polnischen Bergen kamen wir in den „Genuss“ eines herannahenden Gewitters, doch in der Ostslowakei sind sie gefühlt noch zahlreicher und heftiger. Die bisher bedrohlichste Gewitternacht erleben wir im Čergov-Gebirge, wo es über Stunden am laufenden Band blitzt und donnert. Man hat das Gefühl, dass sich mehrere Gewitter im Kreis drehen, und uns immer wieder bedrohlich nah kommen. Trotz unseres relativ geschützten Schlafplatzes, ist mir in unserem kleinen Zelt etwas mulmig zumute. Und noch immer ist nicht klar, wer der Sieger im Ringen der Luftmassen ist. Die Tage bleiben heiß und schwül und täglich müssen wir mit Gewittern rechnen, die hier heftiger sind, als ich sie von Zuhause kenne. Trotzdem haben wir viel Glück mit der ständig drohenden Gewittergefahr. Bei unserer Ankunft in der Stadt Prešov schaffen wir es gerade noch zu unserer Unterkunft, als wieder ein Gewitter niedergeht. In der kommenden Nacht und am nächsten Morgen gewittert es munter weiter und wir überlegen schon, den Tag hier zu verbringen, obwohl wir eigentlich weiterziehen möchten. Nachdem sich die Gewitter schließlich verzogen haben, wagen wir uns zurück auf den EB. Ob das eine gute Idee ist?
Weiter geht es für uns auf dem EB durch das Slanské vrchy Gebirge. Es liegt im Südosten von Prešov und trägt den Namen der im Süden gelegenen Ortschaft Slanec. Der EB (und E 3) durchquert den 60 Kilometer langen Gebirgszug von Nord nach Süd und berührt dabei keine Ortschaften, quert jedoch die beiden Gebirgspässe Herľany und Dargov. Das vulkanische Gebirge, das Teil des Karpatenbogens ist, ist dicht bewaldet und sehr einsam. Es gibt keine Wanderunterkünfte und nur sehr wenige Schutzhütten bzw. Rastplätze. Die oft überwucherten Wanderwege sagen uns, dass hier nicht viel Wandertourismus herrscht. Es gibt auch sehr wenige Aussichtspunkte, von denen man aus dem dichten Wald heraus schöne Blick in die Ferne genießen könnte. Die höchste Erhebung des Gebirges ist der 1.092 Meter hohe Šimonka, den wir an unserem ersten Wandertag in dem Gebirge noch erreichen möchten. Daraus wird leider nichts, da sich am späten Nachmittag schon wieder Gewitterzellen bilden. So viel Glück wir in den letzten Tagen hatten, haben wir an diesem Wandertag nicht mehr. Das Gewitter trifft uns hundert Meter unterhalb des Berggipfels mit voller Wucht, und wir sitzen den strömenden Regen mürrisch auf einem quer liegenden Baumstamm mitten im dichten Wald aus. Da bleibt kein Auge trocken und auch meine Schuhe nicht, in die unaufhörlich das Wasser tropft. Ich freue mich schon auf die kommenden Tage mit nassen Wanderschuhen und feuchten Socken. Dieses Gewitter wird nicht die letzte Begegnung dieser Art auf unserer Reise sein, die uns als „Tour de orage“ mit den meisten Gewittern auf einer einzigen Reise in Erinnerung bleiben wird.
Unverhofft kommt oft – der Besuch von Košice, der zweitgrößten Stadt der Slowakei
Nach den Unbilden der letzten Tage haben wir dringend eine Auszeit nötig. Auf dem Dargovpass entschließen wir uns spontan den EB zu verlassen und einen Pausentag in der zweitgrößten Stadt der Slowakei Košice einzulegen. Hier genießen wir einen sehr komfortablen Campingplatz, endlich einmal wieder gutes Essen und schönes Wetter, das sich – so scheint es – endlich durchsetzen konnte.
Košice ist nach Bratislava die zweitgrößte Stadt der Slowakei und kulturelles Zentrum der Ostslowakei. Die Universitätsstadt war vor zehn Jahren schon einmal Kulturhauptstadt Europas und beherbergt zahlreiche Museen und Galerien. Das Wahrzeichen der Stadt ist der im Zentrum stehende gotische Dom der Heiligen Elisabeth, welcher auch die größte Kirche der Slowakei ist. Im Zentrum der Stadt finden sich zahlreiche historische Gebäude, weshalb der Stadtkern von Košice das größte denkmalgeschützte Stadtgebiet des Landes ist.
Wir genießen unseren ersten freien Tag der Reise in dieser wunderschönen Stadt und freuen uns jetzt schon auf das nächste große Etappenziel – die ungarische Grenze, welche von hier auf direktem Wege gerade einmal 20 Kilometer entfernt liegt. Der EB jedoch macht noch ein paar Schleifen durch das jetzt immer flacher werdende Hinterland im Süden der Ostslowakei. So erreichen wir die ungarische Grenze (ca. 60 km auf dem EB) etwas später, aber immerhin noch in rekordverdächtiger Zeit von zwei Tagen.
Ein weiterer lohnenswerter Fernwanderweg im Osten der Slowakei
Wie schon im Reisebericht über die Mala Fatra beschrieben, gibt es in der Slowakei einen weiteren, sicher sehr lohnenswerten, Fernwanderweg. Es ist der Cesta hrdinov SNP (übersetzt: „Weg der Helden“), welcher an den slowakischen Nationalaufstand erinnern soll. Dieser ca. 770 Kilometer lange Fernwanderweg verbindet zahlreiche Orte miteinander, die während des slowakischen Nationalaufstands nach dem zweiten Weltkrieg eine bedeutende Rolle gespielt haben. Dabei durchquert er die Slowakei fast komplett von Osten nach Westen. Der nationale Fernwanderweg überquert dabei die zentralen Gebirge der Slowakei wie die Veľká Fatra (Große Fatra) und die Nízke Tatry (Niedere Tatra), nicht aber die Hohe Tatra. Im Osten der Slowakei verläuft der Cesta hrdinov SNP etwas weiter westlich parallel zum EB durch die kleinen Gebirge der Niederen Beskiden. Das Ende des 770 Kilometer langen nationalen Fernwanderwegs ist der Duklapass, dort wo der EB ebenfalls die Grenze der beiden Länder Polen und Slowakei überschreitet. Der Cesta hrdinov SNP verläuft übrigens komplett identisch mit dem Europäischen Fernwanderweg E 8, und seine Markierung ist identisch mit der des EB in den Farben weiß und rot.
Der EB in der Ostslowakei – unser Fazit
Der 200 Kilometer lange Abschnitt des EB in der Ostslowakei bietet zwar weniger landschaftliche Höhepunkte, ist aber durch seine Wegeführung, welche hauptsächlich abseits großer Städte (Ausnahme: Prešov) und auch kleineren Dörfern führt, sehr einsam und daher reizvoll. Hier wird man – möchte man den Wanderweg nicht verlassen – am häufigsten wilde Nächte in der Natur verbringen, als auf allen anderen Abschnitten des EB. Dafür muss man aber auch seine Versorgung gut planen. Das gilt vor allem für die Etappen in den beiden Gebirgen Čergov und Slanské vrchy, auf denen der Wanderweg wirklich abseits jeglicher Siedlungen verläuft. Aber auch auf den letzten Etappen im Süden der Ostslowakei ist es z.B. mit Unterkünften schlecht bestellt. In dem ländlich geprägten Gebiet gibt es schlichtweg keine, weshalb man auch hier wieder auf ein Zelt angewiesen ist. Das wilde Zelten ist in der Slowakei zwar offiziell verboten, wird in der Regel aber überall toleriert, wenn man sich entsprechend rücksichtsvoll verhält.
Für uns war der Abschnitt in der Ostslowakei ein herausfordernder Part auf dem EB bzw. E 3, was nicht zuletzt am wechselhaften Wetter zwischen schwül-heiß und gewittrig-nass lag. Aus diesem Grund haben wir den Wanderweg auch einmal verlassen (was nicht unsere Art ist), um uns in der Zivilisation von Košice zu erholen.
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