Radeln auf dem Grünen Band – 371 Kilometer von Rehau im Vogtland nach Gersfeld in der Rhön

Ein Reisebericht von Volker Otter

Der Gedanke hatte uns nicht losgelassen, ob wir es schaffen, den letzten Abschnitt des Grünen Bandes durch das Vogtland, den Franken- und Thüringer – Wald und schließlich wieder die Rhön mit unzähligen Höhenmetern. Utopisch? Irgendwie ja, aber jetzt wollten wir unsere Reise durch (unser) Deutschland, seine Landschaften und seine Geschichte auch zu Ende bringen, notfalls schiebend…. In unserer Beschreibung verzichten wir dieses Mal auf die Angabe der ungefähren Höhenmeter, wir haben sie irgendwann nicht mehr gezählt. Wir gehen davon aus, dass wir an den meisten Tagen zwischen 800 und 1500 Höhenmeter zu bewältigen hatten, unterbrochen von sportlich entspannten Abfahrten oder Strecken entlang an herrlich ebenen Bachtälern. Im Nachhinein unser Fazit: Sportlich, intensiv, abenteuerlich, herausfordernd, wunderschön und machbar!

Auf dem Kolonnenweg durch offene Landschaft

Wir schließen unser Projekt ab! Das Grüne Band: Ein letztes Mal!

In Sieben Tagen mitten durch Deutschlands Geschichte und Natur

Mitten im Juli waren wir den ersten Abschnitt der Südetappe des Grünen Bandes vom Harz bis zur Rhön im gefühlten dauerverregneten Herbst gefahren. Wir hatten für unseren kommenden Projektabschluss auf den richtigen Sommer gehofft.

Etappe 1: von Rehau zum Campingplatz Issigau, ca. 62 Kilometer

Und jetzt ist er da, der Sommer, mit voller Wucht! Die Klimaanlagen der Deutschen Bahn gehen wieder in die Knie, Vorteil für uns, da wir jetzt 1. Klasse reisen dürfen. Auch mal schön. In Rehau, nahe der tschechischen Grenze steigen wir gen Mittag aus und prallen gegen eine Wand aus feuchtwarmer Luft.

Aber der Fahrtwind und herrlicher Schatten im Rehauer Forst entlang dem Höllbach durch alten Wald bei flotter Fahrt ermöglichen uns einen optimalen Start Richtung Dreiländereck, wo einst die BRD, die DDR und die Tschechoslowakei aneinanderstießen. Heute ein idyllischer Fleck, ein kleiner Bach im herrlichen Auwald.  Kurz hinter dem Dreiländereck wagen wir uns auf den überwachsenen Kolonnenweg nach Posseck, landschaftlich sehr schön, hohe Wiesen, Magerrasenflächen, Baumstreifen, linkerhand begleitet uns der KFZ-Sperrgraben.

Dreiländereck
Dreiländereck im Rehauer Forst

Die Wolken verdichten sich, es bleibt feuchtwarm, der Wind frischt böig auf, hinter uns türmen sich Gewitterwolken. Auf den Höhenzügen hinter uns links und rechts Regenschleier, in der Mitte ein helles Band direkt über uns. Ein Wachtturm ragt auf. Mit den Böen klatschen Schwärme von Insekten und Gewitterfliegen gegen uns. Fahren ist nur mit Brille oder geneigtem Kopf möglich. Wir fühlen uns wie Bartenwale im Krillschwarm… Richtung Heinersgrün fahren wir teils steil bergauf über Schotterwege, Wiesen, kleine Haine, vor Heinersgrün grüßt die Kapelle Santa Clara. Einfach nur schön. Das Gewitter hält sich hartnäckig, aber hinter uns. Ganz nah an der ehemaligen Grenze halten wir uns, manchmal auf den Betonplatten, manchmal auf nahen Feldwegen. Wir kommen durch Gutenfürst, einem ehemals wichtigen Eisenbahngrenzübergang und fahren weiter nach Mödlareuth, dem geteilten Dorf, fahren durch eine offene, hügelige Landschaft, in der sich das Grüne Band z.T. seinen Namen verdient, ein breiter Baumstreifen, der sich durch das Land zieht.

Der Tannbach teilte Mödlareuth in Ost und West, ein kleiner Bach, der über Schicksale entschied, Familien und Freunde trennte, für viele damals unvorstellbar, konnte man sich doch über den Bach hinweg unterhalten, berühren und besuchen, allerdings zu spät, als der Stacheldraht und die Grenzsoldaten kamen und Mödlareuth in zwei getrennten Welten lag. „Tannbach – Schicksal eines Dorfes“ ist eine Fernseh-Serie, die die Geschicke in diesem Dorfe nacherzählt. Das Museum zeigt die Geschichte des Dorfes und die massiven Sperranlagen. Eine gute Pause ist hier ein Muss!

Mödlareuth - das geteilte Dorf
Mödlareuth – das geteilte Dorf

Die ehemalige Grenze verläuft weiter entlang der sächsischen Saale. Wir entfernen uns von ihr, da wir den wunderschönen Campingplatz in Issigau im südlichen Saalebergland ansteuern, der rund um ein kleines Jagdschlösschen angelegt ist. Nach einer deftigen Steigung von Mödlareuth nach Töpen, tauchen wir ab ins Saaletal nach Joditz (auch eine Campmöglichkeit) und pedalieren wieder hinauf in das Saalebergland auf der anderen Seite nach Berg. Der Name steht für das, was ist, ein nicht enden wollender Berg. Wir schwitzen, was das Zeug hält und können nicht mehr. Aber der Berg hat natürlich immer zwei Seiten, so fahren wir geschwind nach Issigau auf der anderen Seite hinab. Das abendliche Schnitzel nach der Dusche und ein paar Tourentipps des Gastwirtes zu einem Lost Place runden diesen besonderen Tag ab. Schon am ersten Tag sind wir „mittendrin“!

Etappe 2: von Issigau zum Trekkingplatz Kobach am Rennsteig bei Kleintettau, ca. 69 km

Diese Etappe wird uns in Erinnerung bleiben! Sie wird uns an unsere Grenzen bringen, aber auch zu besonderen Orten führen und in Begeisterung enden. Verheißungsvoll!

Von Issigau bis Bad Steben ist es ein Klacks. Hinter Carlsgrün tauchen wir ein in eine unberührte Auenlandschaft, früher die todbringende Grenze, heute ein Idyll. Weiter im Wald tauschen wir uns mit einem einheimischen Pilzsammler aus, der uns den Weg zum Schwarzen Teich erklärt. Wieder so ein Idyll, ein gestauter Teich, in früheren Tagen Wasserspeicher für die Flößergräben, hier im Thüringer Schiefergebirge, eingebettet in Wiesen und Wald. Blühende Seerosen, Libellen, die kleine Schleusenhütte mit den vielen bemalten Holzschildern, einen besseren Ort für eine Pause in der Sonne findet man kaum. Und doch stimmt er nachdenklich. Ein wenig die Wiese hinauf floh ein Vater mit seinem 10-jährigen Sohn und trat auf eine Mine, die ihn schwer verletzte. Bundesdeutsche Grenzschützer verhinderten Schlimmeres und halfen dem Mann und dem Kind auf die bundesdeutsche Seite. Wie traumatisch mag dies für die beiden gewesen sein? Ein paar hundert Meter weiter wieder ein Familienvater, der seine Familie vom Westen aus herüberholen wollte und dies mit dem Leben bezahlte, irgendwie doch eine trügerische Idylle, eine sehr nachdenkliche und bedrückende zumindest.

Heute Idylle-früher todbringende Grenze
Heute Idylle-früher todbringende Grenze

An Schieferhalden entlang fahren wir durch bezaubernden Wald nach Rodacherbrunn und weiter auf einer neuen Straße nach Crumbach. Von hier aus würgen wir uns mehr schlecht denn recht eine brutale Steigung nach Brennersgrün am Rennsteig hinauf, Fluchen ist erlaubt! Was wir eigentlich wissen, aber nicht ahnen, ist, dass das Rennsteighaus auf uns wartet. Das Rennsteighaus ist eine Institution sondergleichen. Ein großer Gemeinschaftsraum mit Küche, Snacks, gekühlten Getränken mit Vertrauenskasse steht jedem, der will, zur Verfügung. Übernachten ist möglich (Kontakt-Telefonnummer hängt aus), Duschen stehen zur Verfügung. Großartig! Wir gönnen uns ein paar Snacks und kühle Getränke und füttern die Vertrauenskasse tüchtig! Gestärkt geht es weiter.

Nicht weit hinter Lehesten erwartet uns ein Highlight, das uns unser Gastwirt in Issigau beschert hat. Auf der rechten Seite kommt die Moto-Cross-Anlage in Sicht, überall „Betreten-Verboten!“-Schilder. Insofern betreten wir sie nicht wirklich, sondern halten uns direkt am oberen Rand Richtung Schlagbaum bzw. Fahrweg, der in den Wald hineinführt. Uns umgibt ehemaliges Schieferabbaugebiet, das an den aktiven Schiefertagebau grenzt. Wir befinden uns im Oertelsbruch, erst noch unsicher fahren wir durch lichten Birkenmischwald und dann taucht er auf, unser Lost Place. Rechts unten am Hang sehen wir verfallene Häuser, in denen bis vor ein paar Jahrzehnten noch Menschen gearbeitet und gelebt haben sollen. Vorsicht beim Betreten! Am Hang führen Gewölbegänge in den Berg hinein. Alles mit dem Grün des Waldes verwachsen. Ein wenig weiter gelangen wir zur Oertelvilla und weiteren Gebäuden, am Boden lässt sich aufgeworfener Parkettboden erahnen, einige Decken holzgetäfelt. Die Villa und der alte Schiefertagebau der Firma und Familie Oertel waren im zweiten Weltkrieg Teil des Konzentrationslagers Laura, einer Außenstelle des KZs Buchenwald. Hier wurden Teile des V2-Raketenprogramms in den Stollen des Bergbaugeländes gebaut und getestet. In der Villa residierten die SS und Offiziere. Bis zu 800 Gefangene wurden in eine nicht weit entfernte Scheune gepfercht. Viele von ihnen starben an Entkräftung, wurden exekutiert, misshandelt, erfroren im Winter oder verhungerten. Kurz vor der Befreiung wurden die meisten Insassen ins KZ Dachau deportiert. Die Gedenkstätte Laura erzählt die Geschichten der Opfer, aber auch der Täter. Ein Rundgang lässt einen still werden. Wir lassen die Eindrücke wirken.

Lost Place im Oertelsbruch
Lost Place im Oertelsbruch

Wenig später fahren wir weiter und biegen bei Lichtentanne links auf einen schmalen steilen Weg bergab in den Steinbachsgrund ab, der uns idyllisch und leicht geländegängig ins Loquitztal führt, den Aufstieg zur Ruine Lauenstein und zur Thüringer Warte sparen wir uns. Wir wähnen uns schon nah am Ziel, biegen nach Ebersdorf ab, tanken noch einmal Wasser für den Abend auf und versäumen dabei, die Karte ganz genau zu studieren, übersehen die vielen Höhenlinien und staunen, als wir den steilen Bergrücken wie eine riesige Masse vor uns sehen und die Straße, die sich in steilen Serpentinen die nächsten drei Kilometer mit 11% Steigung emporwindet. Herzlichen Glückwunsch!!! Eine Alternative gibt es nicht! Also nichts wie hoch hier! Schieben ist fast anstrengender, als im kleinsten Gang im Schritttempo aufzusteigen. Wir schwitzen, wir fluchen (manchmal), die Muskeln fangen irgendwann an zu brennen, irgendwann auch zu zittern, Rosinen bringen schnelle Energie, trinken, was das Zeug hält. Grenzerfahrung. Wir halten zusammen und bestärken uns. Und irgendwann schaffen wir es, sind oben. Heute schätzen wir unsere Leistung auf ca. 1500 Höhenmeter (gefühlt mehr!). Jetzt müssen wir nur noch unseren Trekkingzeltplatz (Kobach) im Wald direkt am Rennsteig finden, den wir von zu Hause aus gebucht hatten. Nicht ganz einfach zu finden, ist er doch eigentlich für Wanderer konzipiert. Aber nach diesem Tag ist das auch kein Problem mehr. Eine Lichtung öffnet sich, zwei Holzplattformen (davon eine ein Hochplateau), zwei kleine Rasenflächen, ein Brauchwasser- bzw. Regenwassertank, ein Brennholzschuppen, eine Feuerstelle mit Bänken, ein gemütliches, sauberes Plumpsklo etwas abseits und viele Blaubeeren, eine Quelle 200 Meter weiter. Dies allein ist schon ein herrlicher Anblick, alles bei schönster Abendsonne, wir ganz alleine. Zuerst einmal waschen wir uns den Schweiß von den Körpern, atmen durch, bauen das Zelt auf, genießen die Stimmung und den Blick auf die umliegenden Hänge, naschen ein paar Blaubeeren. Aber da ist noch die als ominöse Brennholzkiste beschriebene Metallkiste mit Zahlenschloss (den Code bekommt man mit der Buchungsbestätigung), … das Schloss ist schnell „geknackt“ und uns lächeln ein Kasten Bier, ein Kasten Radler und Mineralwasser mit einer Vertrauenskasse an. Geht es noch besser? Nein, geht es nicht!!! Wir sind begeistert und genießen den Abend, bis auch das letzte bisschen Licht verschwunden ist. Nachts regnet es leicht.

Trekkingzeltplatz Kobach
Trekkingzeltplatz Kobach

Etappe 3: Vom Trekkingzeltplatz Kobach bis Bockstadt am oberen Werralauf, ca. 78 Kilometer

Am nächsten Morgen reichern wir unser Müsli mit Blaubeeren an und genießen die ersten Sonnenstrahlen bei dampfenden Kaffee, die Wasserperlen auf den Blättern und unserem Zelt glitzern. Schnell zusammengepackt und los. Ein freundlicher Morgenradler nimmt uns an der Bundesstraße mit und zeigt uns den Abzweig nach Kleintettau. Wir sind wieder auf dem (Fahr-)Weg. Das Besondere an diesem Weg ist der Grenzverlauf. Auf ca. 1000 Metern Fahrweg (neu asphaltiert) kreuzen wir mehrfach Landesgrenzen. Später wird uns erzählt, welch bürokratischer Akt es war, diesen kurzen Abschnitt neu zu asphaltieren, verschiedene Bundesländer, unterschiedliche Landkreise und Kommunen, alles auf einem Kilometer. Vor 1989 verlief hier ein absurd schmaler Grenzkorridor, der wiederum Familien trennte und Tote forderte, Schautafeln in Kleintettau erzählen davon. Nach den unzähligen Höhenmetern bergauf gestern sind die nächsten Kilometer das reinste Vergnügen. Es geht nur bergab durch das Tettautal parallel zu einem alten Bahndamm, an manchen Stellen liegen noch die überwachsenen Schienen. Wir genussradeln durch ein herrliches Tal, manchmal eng und düster und noch feuchtfrisch, dann aber auch durch ein herrliches enges Wiesental, naturbelassen, durchsetzt mit kleinen Baumgruppen, durchzogen von einem munteren Bach. Wir kommen in den Landkreis Sonnenberg. Später geht es durch das breite Wiesental der Steinach Richtung Neustadt. Heute rasseln die Kilometer an uns vorbei. Nach mehreren heftigen Steigungen streifen wir das 1984, zur 650 Jahrfeier geschleifte Dorf Korberoth bei Rückerswind. Nach teils rasanten Abfahrten durch einsame Bachtäler, freie Fahrt durch Landschaften mit kleinen Dörfern, in der und denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, kommen wir bei Truckendorf an einem Rest der Mauer vorbei, die als Sichtschutz diente und in erster Linie den Blick in den Westen (dort auch nur Wiese und Wald) versperrte. Wenig später mühen wir uns noch ca. drei Kilometer steil durch den Wald (aber immerhin Schatten) nach Rottenbach hinauf. Wo der Schweiß laufen kann, läuft er und zwar reichlich, aber das ist egal. Wir lassen uns hinter der Autobahn nur noch rollen und haben freie Platzwahl auf der großen Zeltwiese auf dem Bockstädter Campingplatz, alles bei hochsommerlicher Abendsonne und gutem Bier und Radler. Abends noch ein Plausch mit anderen Radlern und das Mühlbachrauschen begleitet uns in den Schlaf.

Mauerreste bei Truckendorf
Mauerreste bei Truckendorf

Etappe 4: Von Bockstadt nach Dürrenried, ca. 54 km

Heute beginnen wir den Tag etwas faul, haben es uns aber auch verdient. Wir folgen einfach dem Werratalradweg nach Hildburghausen, einer netten Kleinstadt, gut zum Versorgen mit dem Nötigsten und für ein Eis und einen Cappuccino. Wir folgen dem WOM-Radweg nach Streufdorf. Wie mag es heute sein, in dem Dorf zu leben, das 1952 von „unzuverlässigen“ Bewohnern in der „Aktion Ungeziefer“ „gesäubert“ werden sollte, in dem die Kirchenglocken Sturm läuteten und die Bevölkerung sich mit Knüppeln, Spaten, Sensen bewaffnete und die Volkspolizisten entwaffnete? Wie mag es sein, in dem Dorf zu leben, in dem der Schuldirektor die Schüler anhielt, die schon gepackten LKWs wieder zu entladen, in dem Dorf dessen Bewohner und Verantwortliche letztlich aber zu Deportation und hohen Haftstrafen verurteilt wurden und das Unrecht brutal durchgesetzt wurde. Wie mag es gewesen sein und wie ist es heute in dem Dorf, das sich gewehrt hat? Wie wichtig ist es, sich der eigenen Geschichte gewahr zu sein, um die Geschichte heute zu verstehen und zu gestalten? Viele Gedanken gehen uns durch den Kopf, auf dem Kirchplatz, vor dem Gedenkstein in Streufdorf.

Durch ein schönes Wiesental radeln wir weiter nach Heldburg, wir erklimmen die Veste mit unseren Rädern und fahren weiter zur Gedenkstätte Billmuthausen. Eine Gedenktafel, ein Brunnen, ein Trafohäuschen und ein Friedhof erinnern an über 600 Jahre Geschichte des Dorfes, das hier von 1340 bis 1978 existierte, dessen Bewohner vertrieben wurden und das dann geschleift wurde. Aus den Atlanten der DDR hingegen wurde es nie entfernt. Das Dorf, das nicht mehr existierte, bekam sogar noch eine Postleitzahl, nach der Wende sogar noch fünfstellig. Absurde Komik der Geschichte. Wenig später hinter dem Fachwerkidyll Ummerstadt (hier wurde der Spielfilm Martin Luther gedreht) gelangen wir in das Tal des Erlebachs. Der ehemalige Dorfteich von Erlebach erzählt uns eine weitere Geschichte von Unrecht und Vertreibung. Für das Dorf Erlebach kam die Grenzöffnung drei Jahre zu spät. Die letzte Familie musste das Dorf 1986 verlassen, das unmittelbar danach zerstört wurde. Eine Gedenktafel erzählt von 686 Jahren Dorfgeschichte.

Von Lindenau halten wir uns nach Dürrenried, unserem Ziel für heute. Oberhalb des Dorfes gibt es einen Jugendzeltplatz, den man über die Gemeinde Maroldsweisbach „buchen“ kann. Wieder eine einsame Nacht unter einem wunderbaren Sternenhimmel mit Eulenrufen inklusive. Herrlich!

Lange Steigung von Effelder nach Rückerswind

Etappe 5: Von Dürrenried nach Irmelhausen, ca. 47 km

Heute wird’s nicht so lang! Und heute Abend winkt uns ein Campingplatz mit Badesee, tolle Vorstellung! Über kleine Sträßchen und Sandwege durch kleine Fachwerkdörfer, durch Feld und Wald. In einem Werbevideo könnte Deutschland hier noch so sein, wie es sich viele Menschen sicherlich wünschen, aber hinter der Kulisse? Was machen hier die jungen Leute? Wo findet man Arbeit? Ungewiss. An der Fränkischen Saalequelle machen wir kurz Rast, bevor es nach Gompertshausen geht, wo bereits das Backhaus angeheizt wird für das morgige Dorffest. Die netten Bäcker schenken uns ein paar frische Brötchen und lassen uns in den Ofen schauen, wo der Pflaumenkuchen backt. Schade, dass wir nicht morgen hier sind. Weiter geht es durch eine weite Streuobstwiesenlandschaft nach Leitenhausen, dem Rittergut, von dem noch sechs Kastanienbäume, ein Dorfteich, eine Wasserpumpe und ein kleiner Friedhof oben am Hang und eine Gedenktafel übriggeblieben sind. Wurden nach dem Krieg hier Flüchtlingsfamilien nach der Gebietsreform der sowjetischen Besatzer angesiedelt, verloren diese ein zweites Mal ihr Zuhause, als sie 1970 zwangsumgesiedelt wurden. Zwei Jahre später wurde das Dorf gesprengt. Ein guter Ort zum Nachdenken, dort an der Wasserpumpe unter den Kastanien. Zuerst noch direkt auf dem Kolonnenweg durch einsame Landschaft und später auf kleinen Straßen radeln wir bei schwülheißem Wetter nach Irmelhausen ein. Unser einziger Albtraum dieser Tour beginnt. Der Campingplatz platzt aus allen Nähten, der Badesee ist lauwarm und proppevoll. Beim Sitzen im Schatten läuft der Schweiß, kaum ein Lüftchen. Spätabends trifft sich die Campingplatz- und Dorfjugend direkt gegenüber vom Zelt und feiert. Es ist unsäglich schwül, sodass wir uns entscheiden, sogar das Mückennetz aufzulassen, um atmen zu können. Mit Ohrstöpseln gelingt es uns, in den frühen Morgenstunden etwas Schlaf zu finden. Campingplatz mit Badesee, ja, die Vorstellung war schön….

Es war einmal ein Dorf - Leitenhausen
Es war einmal ein Dorf – Leitenhausen

Etappe 6: Von Irmelhausen nach Fladungen in der Rhön, ca. 53 km

Was wir gestern leider nicht wussten, sehen wir heute, kaum aus Irmelhausen draußen, steht da eine idyllisch gelegene Schutzhütte…. hätten wir das gestern gewusst…. Aber sei’s drum. Die Morgenstimmung ist schön, die Schwüle hat sich verflüchtigt. Bei Behrungen machen wir einen Abstecher zum Freilandmuseum. Hier sind noch die alten Grenzsicherungsanlagen erhalten geblieben, auch die alten Warntafeln auf der Westseite. Ein 3,5 km langer Wanderweg führt durch das Gebiet zwischen Behrungen im Osten und Rappershausen im Westen. Absolut sehenswert! Wenig weiter stolpern wir unerwartet über die reiche und in der NS-Zeit tragische jüdische Geschichte des Dorfes Berkach, in dem die Synagoge und der Jüdische Friedhof erhalten blieben. Die Geschichte einer jahrhundertealten friedlichen, gedeihlichen und sich gegenseitig befruchtenden Koexistenz unterschiedlicher Kulturen und Religionen und die Geschichte des dann einsickernden Hasses mit Beginn des nationalsozialistischen Terrors wird auf Schautafeln dem erzählt, der davon hören möchte.

Und jetzt geht es in die Rhön hinein. Von Schwickershausen pedalieren wir uns über Einödhausen nach Henneberg und weiter nach Hermannsfeld. Die Höhenmeter sind knackig, zu knackig. Wir disponieren um und fahren über Völkershausen ab nach Ostheim, der schönen Kirchenburg und bleiben dann im Streutal bis nach Fladungen. Wir satteln auf dem verschlafenen Campingplatz ab und suchen uns ein ruhiges Plätzchen auf dem ehemaligen Sportplatz. Ein Zeltplatz, wie aus der Zeit gefallen, gut, dass es so etwas noch gibt, die sanitären Anlagen sind top. Wir besuchen noch das lohnenswerte fränkische Freilandmuseum, in dem das neueste Ausstellungsstück eine gelbe Telefonzelle auf dem Dorfanger ist. Schön, hier durchzubummeln, Kaffee zu trinken und in vergangene Zeiten einzutauchen. Wir kochen noch in der Abendsonne, trinken ein Glas Wein im Städtchen und schlafen diesmal prächtig auf dem Fladunger Zeltplatz, nette und ruhige Menschen um uns herum.

Freilandmuseum Behrungen
Freilandmuseum Behrungen

Der Abschluss unserer Reise: Von Fladungen nach Gersfeld, ca. 31 km, aber wir machen’s kürzer!

Gestern Abend hatten wir noch mit der Buslinie telefoniert, die die Hochrhön bedient. Welch Service! Wir haben uns einen Rufbus mit Fahrradmitnahme bestellt, der uns für kleines Geld von Fladungen auf die Hochrhönstraße an der Schornhecke bringt. Wir sparen uns also viele, garstige Höhenmeter. Mit Schwung sausen wir von dort nur noch bergab nach Gersfeld und mit einer Punktlandung bekommen wir den Zug nach Fulda. Von da ist es nur noch ein Klacks bis nach Hause.

Auch wenn es „nur“ 371 Kilometer auf dieser Etappe waren und wir nicht in der Welt, sondern in Deutschland geblieben sind, haben wir das Gefühl, eine große und für uns wichtige Reise zu Ende gebracht zu haben, die uns über zwei Jahre (gedanklich länger) in Atem gehalten hat. Wir haben ein Reiseprojekt abgeschlossen und waren mitten in Deutschland, einem wunderbar spannenden Reiseland, voller tiefer Gedanken, Gefühle und Geschichte, unserer Geschichte.

Im Steinbachgrund

Kennst du das Grüne Band oder bist es vielleicht schon selbst gefahren? Wir freuen uns, wenn du deine Erfahrungen mit uns teilst. 

← zurück zur Übersicht

Oder zu unserer interaktiven Radtourenkarte →

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.