Nachdem wir unsere Fernwanderung von Eisenach nach Budapest (EB) in Königsberg an der Elbe in der letzten Juliwoche gezwungenermaßen abbrechen mussten (ich habe berichtet), wagen wir Anfang August einen Neustart in Tschechien. Aufgrund des Großfeuers in der Böhmischen Schweiz müssen wir diesen Abschnitt hinter uns lassen und treffen erst in der Lausitz, wo der EB die deutsche Grenze touchiert, wieder auf den EB. Die Anreise über Zittau ist für uns die einzige Möglichkeit zügig an diesen Punkt zu gelangen und zu Fuß über die Grenze zu kommen. Die offiziellen Grenzübergänge sollen zwar wieder offen sein, aber man weiß ja nie.
In vier Tagesetappen durchqueren wir zuerst das Jeschken– und anschließend das Isergebirge im nördlichen Tschechien. Das Jeschkengebirge zählt noch zu Nordböhmen, während das Isergebirge geografisch dem Sudetenland zugeordnet wird. Das Jeschkengebirge grenzt an das deutsche Zittauer- bzw. Lausitzer Gebirge im Dreiländereck Deutschland, Tschechien und Polen. Hin und wieder werden beide Gebirge dem Riesengebirge zugeordnet, was jedoch geografisch nicht ganz zutreffend ist.
Berge, Berge und nochmals Berge – wenn der Name eines Wanderweges hält was er verspricht
Trotz der Tatsache, dass wir bereits fast 700 Kilometer auf dem Internationalen Bergwanderweg der Freundschaft – EB zurückgelegt haben, kommt mir der Neustart am ersten Tag wie ein richtiger erster Tag vor. Eigentlich liegen gerade einmal vier Tage ohne Wanderung hinter uns, doch mir kommt es so vor als wären es Wochen – nein Monate – seit dem letzten Wandertag. An diesem Tag ist meine Kondition, die ich mir während der letzten vier Wochen mühsam erarbeitet habe, irgendwie nicht mehr vorhanden. Sie schlummert auch nirgendwo, ist einfach weg ohne mir Bescheid zu sagen. Jede einzelne Steigung zehrt an meinen Kräften und meinen Nerven. Und das ist ja noch nicht alles. Hier im Jeschkengebirge sind die Anstiege plötzlich richtig steil, steiler als in den anderen Gebirgen, die wir in Deutschland überquert haben. Oder kommt mir das nur so vor? Ich weiß es nicht, aber das spielt im Moment ja auch keine Rolle. Irgendwie muss ich über die Berge kommen. Hier im Jeschkengebirge hält der Name des EB was er verspricht – „Berg-Wanderweg“
Der höllisch steile Aufstieg zur Hochwaldbaude wird unsere erste Kletterpartie auf dem EB. Ich bin halb am Kollabieren, auch wegen der Hitze, die in den letzten Tagen natürlich nicht nachgelassen hat. Der August beginnt wie der Juli endete, mit mörderischer Hitze. Die Hochwaldbaude auf dem gleichnamigen 750 Meter hohen Berg steht direkt auf der deutsch/tschechischen Grenze. Auf dem Aussichtsplateau der Berghütte hüpfen wir von Deutschland nach Tschechien und wieder zurück, gerade wie es uns gefällt. Die Aussicht ist grandios und entschädigt für die vorherigen Strapazen. Wir können in drei Länder gleichzeitig blicken. Der Wahnsinn.
Und ein weiteres Problem entpuppt sich in den ersten Tagen unserer Wanderung in Tschechien – die Nachbeschaffung von Trinkwasser. Durch die starke Hitze und das ständige Auf und Ab benötigen wir mehr Wasser, als wir kalkuliert haben. Unser Trinkwasser ist schon in der ersten Tageshälfte fast leer. Auf den ersten beiden Etappen kommen wir nur durch kleine Dörfer und müssen zum ersten Mal seit Beginn unserer Reise nach Wasser fragen. In der klitzekleinen Ortschaft Petrovice (Petersdorf) wird uns ein Wasseranschluss hinter dem Gemeindehaus gezeigt, den wir ohne die nette Hilfe der Dorfbewohner niemals gefunden hätten. In der Ortschaft gibt es übrigens ein wunderbares Naturschwimmbecken (fast direkt am EB), das wir selbstverständlich nicht ausgelassen haben.
Habe ich eigentlich schon die steilen Anstiege im Jeschkengebirge erwähnt? Am zweiten Tag unserer Wanderung erobern wir weitere Höhen auf dem Jeschkenkamm, und die haben es wirklich in sich. Ein kurzer, knackiger Anstieg, an den ich mich – leider – noch sehr gut erinnern kann, geht ohne Umschweife senkrecht den Berg hinauf, sodass nur mein Vorfuß den Boden berührt und ich Angst habe, dass mein schwerer Rucksack inklusive Schwerkraft meine mühsame Balance zwischen oben und unten zugunsten des Tals aus dem Gleichgewicht bringt, und es mich nach hinten den Berg hinunterzwirbelt. Auch der Aufstieg zum höchsten Berg des Jeschkengebirges ist an dem besagten, heißen Sommertag im August wahrlich kein Vergnügen für uns. Zwar zählt der Ještěd nur 1012 Meter, hat es aber dennoch in sich. Angesichts der fortgeschrittenen Tageszeit verweilen wir nur kurz am Gipfel des wirklich bemerkenswerten Ještěd. Der Fernsehturm auf dem Gipfel macht den Berg zu einer markanten Landmarke, die weit über die tschechischen Grenzen hinaus bekannt ist. Über die Großstadt Liberec (Reichenberg) hinaus kann man den weiteren Verlauf des EB im anschließenden Isergebirge erahnen. Am frühen Abend müssen wir eine schwere Entscheidung treffen: in die Stadt laufen oder eine wilde Nacht in der Natur. Natürlich wissen wir, dass das Wildzelten in Tschechien verboten ist, weshalb wir uns für die Stadt entscheiden. Smile! Wir kürzen das Drama des Abstiegs vom Ještěd ab indem wir einfach eine Skipiste hinunterlaufen. Meine Beine sagen mir im Anschluss, dass es eine schwarze Piste gewesen sein muss. Glücklicherweise treffen wir auf dem Weg nach unten ein polnisches Pärchen, das gerade in Tschechien seinen Urlaub verbringt. Die beiden haben am Fuße des Berges ihr Auto stehen und sie fahren uns freundlicherweise bis zum Campingplatz, den wir ohne die beiden zu Fuß an diesem Abend nie mehr erreicht hätten. Wir sind mega happy. Ich frage mich, warum uns das in Deutschland nie passiert.
Die Großstadt Liberec ist eine der wenigen Großstädte die der EB komplett durchläuft. Für uns würde das bedeuten ca. 10 Kilometer durch einen Großstadtdschungel zu laufen, worauf wir natürlich keine Lust haben. Da wir gestern freundlicherweise zum Campingplatz chauffiert wurden, wären es heute natürlich weniger Kilometer Straßenasphalt, aber selbst das möchten wir uns angesichts der mörderischen Temperaturen ersparen. Es ist schon am Morgen brütend heiß und die Stadt im Talkessel der beiden Gebirge Iser und Jeschken glüht geradezu. Mit einem Taxi lassen wir uns daher an den östlichen Stadtrand bringen und starten dort wo der Wald uns mit seinem Blätterdach einigermaßen schützt, am Rande des Isergebirges.
„Eisenach – Misthaus – Budapest“ – EB-Geschichten aus dem Isergebirge
Das Isergebirge trägt den Namen des Flusses Iser, der in den grünen Höhenzügen dieses Gebirges entspringt. Das waldreiche Isergebirge ist zudem sehr wasserreich, was uns sofort ins Auge sticht und uns die Angst vor Wasserknappheit nimmt. Wir wandern an zahlreichen kleinen und großen Seen vorbei und überall sprudelt irgendeine Quelle aus den torfigen Böden. Die Höhenzüge werden durch zahlreiche Hochmoore geprägt und die Szenerie erinnert mich an unseren letzten Urlaub in Schweden. Ich bin von der Landschaft entzückt.
Einer der wohl berühmtesten Einwohner des Isergebirges des letzten Jahrhunderts war Gustav Ginzel. Seine Lebensgeschichte, und vor allem die seines Hauses, sind sehr eng mit dem Isergebirge und dem EB verbunden. Das legendäre Misthaus ist das bekannteste Gebäude in Jizerka (Klein Iser), der am höchsten gelegenen Ortschaft im Isergebirge, durch die der EB führt. Die Geschichte des Misthaues und seines eigentümlichen Bewohners kann man auf wikipedia im Detail nachlesen. Das Misthaus war lange Zeit eines der beliebtesten Ausflugsziele im Isergebirge. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch alle EB-Wanderer der ersten Jahre im legendären Misthaus übernachteten. Gustav Ginzel bezeichnete den EB infolge als Wanderweg „Eisenach – Misthaus – Budapest“. Ein Stempel vom Misthaus war im Wanderheft des EB eine ganz besondere Ehre.
Das Originalgebäude des Misthauses steht heute nicht mehr, da es – vermutlich durch Brandstiftung – im Jahr 1995 abbrannte. Das neu errichtete Gebäude haben wir bei unserer Ankunft in Jizerka zunächst nicht gefunden. Erst zuhause haben wir gemerkt, dass wir es am Abend – mehr schlecht als recht – fotografiert hatten. Was an diesem Abend für uns allerdings viel wichtiger war als ein Foto vom Misthaus war eine feste Unterkunft zu finden, da sich ein schweres Gewitter ankündigte. Natürlich hatten wir wieder einmal Glück und fanden eine Unterkunft in einer urigen Berghütte.
Ein weiterer Fernwanderweg im Jeschken- und Isergebirge
Ein aus unserer Sicht sehr interessanter Fernwanderweg, der beide Gebirge durchläuft ist der erst seit 2020 existierende Tschechische Fernwanderweg Stezka Českem, was einfach „Tschechischer Wanderweg“ heißt. Auch in Tschechien wird das Wandern und Fernwandern immer beliebter. Diesem Trend folgend haben eine Hand voll Wanderfreunde mit dem Tschechischen Touristenklub einen Fernwanderweg geschaffen, der nahezu alle Gebirge des Landes vereint. Der Wanderweg befindet sich noch im Aufbau und über die Markierung ist bisher noch nichts bekannt. Weitergehende Informationen über diesen ca. 2.000 Kilometer langen Wanderweg findet man unter stezkaceskem.cz/en/
Aus unserer Sicht lohnt sich der Stezka Českem Wanderweg für den nächsten Abschnitt im Riesengebirge mehr als der EB selbst. Doch dazu werde ich im nächsten Bericht näher eingehen.
Der EB im Jeschken- und Isergebirge – unser Fazit
Der EB hält im Jeschken– und Isergebirge was sein Namenszusatz verspricht. Er ist ein Bergwanderweg mit allem was dies an unangenehmen Beschwerlichkeiten mit sich bringt. Doch gerade deshalb ist er auf diesem Abschnitt besonders schön. Vor allem das wasserreiche Isergebirge mit seinen dichten Wäldern und Hochmooren hat es mir angetan. Die Landschaft ist äußerst reizvoll und seine Vegetation erinnert mich an Schweden.
Auf diesem kurzen, 100 Kilometer langen, Abschnitt ist die Versorgung mit Lebensmittel gewährleistet. Unser anfängliches Wasserproblem rührte nur daher, dass wir in einer sehr heißen Zeit unterwegs waren. In den Gebirgen kommt man immer an Siedlungen vorbei und das Isergebirge ist ohnehin sehr wasserreich. Die Markierung des EB ist im Jeschken– und Isergebirge hervorragend. Eigentlich sind die Wanderwege in ganz Tschechien in der Regel sehr gut markiert. Das gilt auch für andere Wanderwege. Der EB in Tschechien ist auf diesem Abschnitt meist als E 3 gekennzeichnet, seltener als EB selbst. Dennoch findet man hier noch häufig einen EB Aufkleber oder eine EB Beschilderung. Die Markierungen sind ebenfalls meist in den EB-Farben rot und weiß, manchmal aber auch blau/weiß, die Farben des E 3.
Alles in Allem war für uns dieser Abschnitt des EB ein großartiges Erlebnis, trotz der anfänglichen Hindernisse.
oder weiter zum nächsten Reisebericht →
Für alle Informationen auf dieser Seite habe ich viel Mühe und Zeit investiert, um sie jedem zur Verfügung zu stellen. Da alle diese Informationen aus ersten Hand sind und ich persönlich keinerlei finanziellen, oder sonstigen, Vorteil davon habe, freue ich mich besonders über ein Feedback von dir in Form eines Kommentars. 🙂