Ein Reisebericht von Volker Otter
In unseren Köpfen spukt der Gedanke schon länger herum, das Grüne Band vom Dreiländereck in Bayern bis zur Ostsee abzuwandern oder abzuradeln. In den Osterferien sind wir bereits auf dem Harzer Grenzweg von Zorge bis nach Bad Harzburg gewandert. Dort wurde uns klar, dass es schwer ist, erstens direkt auf dem Grünen Band zu radeln (z.T. Pfade, z.T. unfahrbare Kolonnenwege mit Lochbeton) und dass es unsere Kraft übersteigen würde, den Grenzverlauf mit Gepäck abzufahren, da sich dieser nicht um den Verlauf der Höhenlinien schert und die Steigungen beträchtlich sind, so lassen wir den „Jüngeren“ dieser Welt eine Herausforderung, die wir so nicht umsetzen wollen. Wir passen unseren Plan an. Wir werden das Grüne Band südlich des Harzes in stichprobenartigen Tages- und Wochenendtouren mit dem Mountainbike angehen, ohne großes Gepäck, dafür aber mit Genuss und vielen Freiheiten bei der Tourenplanung. Unser „heimisches“ Grünes Band im Werraverlauf kennen wir bereits ganz gut über Radtouren auf dem Werraradweg (absolut lohnenswert) und Wanderungen auf den vielen Premium-Wanderwegen, die den Grenzverlauf aufnehmen.
Und jetzt hat es uns an einem der langen Wochenenden in die Rhön verschlagen, nach Dippach mit seinem bezaubernden Campingplatz, ein paar hundert Meter vom Grünen Band entfernt, ein paar Kilometer südlich von Tann. Hier schlagen die Uhren noch anders. Wer einen chromblitzenden Standard erwartet, fährt hier bitte nicht hin, wem es reicht, absolut saubere und funktionale Hygieneeinrichtungen zu bekommen auf einem kleinen, sehr ruhigen, familiären Campingplatz mit großer Zeltwiese direkt am Bach (Einschlafen und Aufwachen mit Bachgeplätscher, danach ein kleines Bad im Bach,…), wer abends bei der resolut, aber sehr herzlich auftretenden Wirtin gerne ein Bier und ein handgeklopftes, gebratenes Schnitzel genießt und sich morgens frische Brötchen abholt, wem es reicht, nette und originelle Menschen zu treffen und die untergehende Sonne mit Blick auf die umliegenden Hänge und die freilaufenden Hühner zu bewundern, der ist hier absolut richtig, ein Campingplatz, wie aus der Zeit gefallen. Gut, dass es ihn gibt.
Von hier aus werden wir mit unseren Mountainbikes verschiedene Touren machen und der ehemaligen innerdeutschen Grenze so nah folgen, wie es für uns geht.
Tour 1
Der Grenzbogen von Dippach um Tann herum bis Apfelbach und zurück über Günthers und Tann
(ca. 35 Kilometer, ein langer, steiler Anstieg mit ca. 220 Höhenmetern von Dippach zur Kreisstraße 34 und weiter)
Wie herrlich, morgens mit Bachplätschern aufzuwachen, schnell ausgezogen und ein kleines Bad im Bach nehmen, besser als jede Dusche. Nach dem Frühstück mit frischen Brötchen (den Abend vorher bestellt) und bei schon recht hohen sommerlichen Temperaturen (25 Grad) um 9.00 Uhr satteln wir auf und kurbeln uns schweißtreibend über kleine Asphaltsträßchen und Feldwege über Hundsbach zur K34 hinauf (Richtung Klein Fischbach), der wir kurz nach rechts folgen. Oben auf dem Sattel nehmen wir den markierten Wanderweg links ab, kurz bevor es bergrunter nach Kleinfischbach geht. Der Weg ist weiter asphaltiert und verläuft einige Kilometer parallel zur Grenze Richtung Theobaldshof manchmal durch dichten, manchmal herrlich lichten Wald mit großen Wiesenschlägen, später auch über offene Wiesen, jetzt im frühen Sommer blüht noch alles herrlich, Genussradeln. Unsere hart erarbeiteten Höhenmeter schenken wir hinter Theobaldshof auf der Abfahrt nach Schlitzenhausen dahin, wo wir nach Sinswinden abbiegen und bald auf die Grenze stoßen, die hier aber leider nicht fahrbar ist, also nehmen wir einen parallel verlaufenden Feldweg hinunter nach Motzlar, wo wir auf der Straße nach Apfelbach bleiben, ein kleines idyllisches Örtchen. Die Grenze verläuft links von uns mit Blick auf einen Überwachungsturm. Von Apfelbach bleiben wir auf der Straße nach Günthers und biegen dort im Dorf rechts (vor der Bundesstraße) ab und folgen einem Feldweg direkt an der Ulster und schieben kurze Zeit später dann eine Wiese hinauf, um auf den offiziellen Ulsterradweg nach Tann zu kommen. Komplett verschwitzt entspannen wir uns im Cafe´ im Museumsdorf. Über offene Feldflur geht’s zurück nach Dippach, nochmal schnell in den Bach steigen zum Abkühlen…
Tour 2
Von Dippach über Unter- und Oberweid nach Frankenheim, weiter nach Birx und zurück über den Ulsterradweg
(ca. 44 km, ein langer durchgehender Anstieg mit ca. 360 Höhenmetern von Unterweid zum Abzweiger Hochrhöner hinter dem Thüringer Rhönhaus)
Wieder ein heißer, etwas schwüler Tag, die Verheißung auf viel Schweiß auf der Tour… Unterweid, Oberweid, zwei herrliche kleine Dörfer, dann schwitzend mehrere Kilometer hinauf zum Thüringer Rhönhaus. Auf dem Weg hinauf beschäftigen uns die großen Basaltbrocken am Wegesrand, die von Kriegsgefangenen ohne weitere technische Hilfsmittel dorthin geschafft wurden, um die kargen Rhönhochwiesen landwirtschaftlich nutzbar zu machen, Sklavenarbeit. Wir werden ähnliche Brocken am Wegesrand immer wieder sehen. Das Rhönhaus hält seine eigene wechselhafte Geschichte für uns bereit, wir nehmen uns die Zeit, sich ihr zu widmen. Wir nehmen den Weg zum Eisenacher Haus und werfen einen Blick auf die neue Aussichtsturmkonstruktion mit Rutschenanlage „Noahs Segel“. Da wir ohne Kinder unterwegs sind, lassen wir das Segel Segel sein und folgen dem Hochrhöner über herrliche Magerrasenflächen, später durch Wiesen und Wald nach Frankenheim, halten dort ein Pläuschchen mit Wanderern und nehmen den Museumsweg, der später in den Friedensweg übergeht entlang der Grenze zum „Heimatblick“, der eine ausgiebige Rast lohnt. Von hier schaut man in die Fladunger Senke und nach Osten hin in „die alte Heimat“. Eine kleine Schutzhütte und schattige Bänke lassen die Mittagspause schnell länger werden, ein Ort zum Schauen und Entspannen. Auf Feldwegen halten wir uns oberhalb von Leubach und stoßen kurz vor Frankenheim nach einer weiteren ermüdenden Steigung wieder an die Grenze. Wir biegen links auf den Kolonnenweg ein und fahren vorsichtig in die Senke ab. Vorsicht, manche Löcher im Lochbeton sind unterspült, wer dort mit dem Vorderrad hineingerät, riskiert einen schweren Sturz und Schäden am Fahrrad. Kolonnenwege sind in der Regel kein Fahrspaß. Aus der Senke heraus schieben wir einen kurzen steilen Anstieg hoch. Der Kolonnenweg führ mitten durch eine Kuhweide mit einigen, zu bewältigenden Elektrozäunen. Mutterkühe mit ihren Kälbern kommen uns neugierig entgegen, sind aber friedlich. Wir treffen einen älteren Herren mit Kamera, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, all die geschleiften Dorfstellen und Gebäude im Grenzverlauf nach Recherche, mit Hilfe alter Karten und google earth-Ansichten zu finden und fotografisch zu würdigen, ein großartiges Projekt. Durch hüfthohes Gras und eine einzigartige Blütenpracht führt uns der Kolonnenweg bis zum Überwachungsturm vor Birx. Hier wurden einige Befestigungsanlagen als Mahnmal stehengelassen, auch dieser Ort ist eine Pause wert. Von hier aus folgen wir dem Wanderweg (Friedensweg) nach Birx und folgen der Straße in Richtung Seiferts. Wer Zeit und Muße hat, sollte sich Zeit für einen Besuch des Schwarzen Moores einplanen. Auf den Plankenwegen erlebt man eine herrliche Hochmoorlandschaft sondergleichen, taucht aber auch hier wieder in die deutsche Geschichte ein, da auch hier Kriegsgefangene misshandelt wurden. Kurz hinter der von Fladungen kommenden Straße biegen wir rechts in den Wald ein und folgen einem Wanderweg in Richtung Linsenwäldchen und fahren von dort hinunter nach Batten im Ulstertal. Dem herrlichen Ulstertalradweg folgen wir auf der linken Flussseite, wechseln hinüber nach Wendershausen und nehmen die Straße nach Dippach. In Tann essen wir noch leckere Bärlauchfrischkäsecrepes im Museumscafé und ergänzen diese durch ein interessantes Braunbier bzw. Johannisbeersaftschorle. Den Abend lassen wir mit lecker gezapftem Bier bei Anja (unsere Campingplatzwirtin) ausklingen. Nachts ist der Himmel sternenklar. Uns ist schnell klar, warum die Rhön eine „Dark-Sky-Area“ ist, solch einen Sternehimmel sehen wir daheim bei uns nicht.
Tour 3
Von Dippach an die Grenze bei Habel, weiter im Verlauf zum Point Alpha und zurück über den Ulsterradweg über Tann
(ca. 45 Kilometer mit einer langen Steigung von Mollartshof bis zum Grünen Band hinter Habel mit ca. 180 Höhenmetern, danach bis Point Alpha laufend An- und Abstiege mit bis zu ca. 100 Höhenmetern)
Heute schwitzen wir schon beim Aufsatteln, über 30 Grad sind angesagt, puhhh, los geht’s. Über einen Feldweg pedalieren wir uns über die kleine Anhöhe nach Lahrbach im Ulstertal. Von Mollartshof auf der anderen Ulstertalseite kurbeln wir uns auf der kleinen Straße in der prallen Sonne, schwitzend, wie die…. nach Habel und von dort weiter bis zu einem eindrucksvollen Sattel mit einem schönen Pausenplatz direkt am Grünen Band. Was uns das Schwitzen immer wieder vergessen lässt, sind die vielen Oldtimermofas und -mopeds (und da sind sie wieder die Fuchsschwänze an den Lenkern, wie damals in den 70ern und 80ern!!!), die uns mit lustigen, freundlich winkenden Fahrern entgegenkommen, eine Rallye für Oldtimerliebhaber der besonderen Art. Wir halten uns links, folgen der ehemaligen Grenze und stoßen wieder auf den Hochrhöner, auf dem wir für einige Zeit bleiben. Jetzt beginnen ständige kleine Auf- und Abstiege, die diesen Teil einerseits interessant machen, andererseits bei ca. 30 Grad auch höllisch anstrengend sind. Die Wegmarkierungen sind nicht immer eindeutig, mal folgen wir dem Hochrhöner, mal einem schwarzen Dreieck, mal einfach unserer Eingebung, immer parallel zur Grenze. Der Weg führt über Pfade, Waldwege und Schotter. Wir queren die Straße zwischen Gotthards und Ketten und stoßen am Reinhardssattel auf die kleine asphaltierte Straße nach Reinhards, die wir nehmen, um ein steiles Stück Grünes Band zu umfahren. In Reinhards halten wir uns Richtung Spahl. Die kleine Straße steigt recht steil an, über uns thront eine Kapelle mit steilem Treppenaufgang. Man kann gar nicht anders, als sich wie ein kleiner Büßer zu fühlen, geschickt gemacht! Das Sträßchen führt uns wieder direkt zum Grünen Band, dem wir nun folgen. Es bleibt dabei, die Lochbetonplatten sind auch mit Mountainbike-Federgabel kein Fahrspaß, manche Löcher sind nicht zugewachsen, unsere Mountainbike-Reifen sinken nur ein wenig ein, schmalere Bereifungen wären hier verloren.
Aber es ist hochspannend, der Schneise durch Berg und Tal, durch dichten Wald und entlang an Feuchtgebieten zu folgen, bei steilen und zugewachsenen Passagen schieben wir. Ein Achsenbruch o.ä. hätte hier fatale Folgen, wir sind weit ab von irgendwo. Vom Breiten Berg und vom Teufelsberg können wir weit hinein ins Land schauen. Weit weg die weißen Halden des Kalibergbaus, das Grüne Band zieht sich, wie mit dem Lineal gezogen, durch das Land. Vor Setzelbach führt das Band durch landwirtschaftlich genutztes Gebiet und Wiesen, entspanntes Fahren. Hinter Setzelbach steigt die Straße an, der wir kurz folgen, um hinter der Abzweigung nach Wiesenfeld wieder auf das Grüne Band zu stoßen. Wir schwitzen uns eine längere Steigung hinauf in der prallen Sonne über Magerrasenflächen mit einem schönen Blick nach Osten. Etwa einen Kilometer vor dem Point Alpha Haus beginnt ein eindrucksvoller Kreuzweg mit großen Metall-Skulpturen, deren Thema und Eindruck man gut mit dem durch die innerdeutsche Grenze geschehenem Leid in Verbindung bringen kann. Wir folgen der Grenze weiter bis zur Gedenkstätte Point Alpha. Die erhaltenen Anlagen und die Thematik berühren, gerade heute, da die Grenzen zwischen Machtblöcken in Europa wieder mit kriegerischen Mittel verschoben werden, gar nicht so weit weg von hier.
Wir fahren schließlich nach Geisa ab und folgen dem Ulstertalradweg wieder nach Tann und von dort weiter nach Dippach. Nach einer kleinen Abkühlung im Bach schmeißen wir den Kocher an, kredenzen unser Abendbrot und lassen den Abend mit kühlen Getränken in der Abendsonne ausklingen.
Das Grüne Band hat es in sich und uns bei hochsommerlichen Temperaturen viel Schweiß gekostet, aber auch viel Inspiration beschert. Letztendlich sind wir ja selber noch Grenzkinder, die mit den Erzählungen von denen da drüben aufgewachsen sind, mit der Grenze im Kopf, als etwas ganz Normalen. Wie gut, dass dies jetzt überlagert wird von einem verbindenden Element, dem Grünen Band, das sich durch unser Land zieht.
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