Am späten Vormittag kommen wir mit dem Auto am Fährhafen in Grisslehamn an der schwedischen Küste an. Es wird wieder einmal Zeit für eine Fahrradtour, da unsere letzte auf dieser Langzeitreise jetzt schon zwei Wochen zurückliegt. Geplant ist ein kurzer Abstecher von ein paar Tagen auf die autonomen Ålandinseln, die offiziell zu Finnland gehören. Momentan ist das Wetter hier ungewöhnlich sonnig und warm, was sich nach unserer Erfahrung hier oben im Norden sehr schnell ändern kann. Aus diesem Grund stecken wir unsere Ziele und Erwartungen nicht zu hoch, damit wir entspannter ins Blaue losziehen können.
Das Auto bleibt auf dem Festland zurück, da man für die Überfahrt mit Fahrrädern nur für die einzelnen Personen zahlen muss. Die Fahrräder werden, im Gegensatz zu motorisierten Fahrzeugen, zwischen den Inseln kostenfrei transportiert.
Das Packen der einzelnen Fahrradtaschen nimmt mit zwei Kleinkindern wieder einmal sehr viel Zeit in Anspruch. Ein Erwachsener muss für die Überwachung der jederzeit fluchtbereiten „Räuber“ abgestellt werden, während der andere im Chaos versinkt. Irgendwann haben wir es dann endlich geschafft und sind startbereit. Aber nicht mit unserem Sohn. Der befindet sich gerade in der allseits beliebten Trotzphase und ist der Meinung, dass er im Moment überhaupt keine Lust zum Fahrradfahren hat. Selbst die schön ausgeschmückte Verlockung, dass wir jetzt erst einmal mit einem großen, großen Schiff fahren, beeindruckt ihn nicht die Bohne. Er möchte schmollen, und das ist etwas, was er sehr intensiv und ausdauernd beherrscht. Tja, dann wenden wir halt wieder einmal unsere mittlerweile bewährte Geheimwaffe an: die Bestechungskeule. Mit einer Tüte Gummibärchen schaffen wir es auf die Fähre. Dort erwartet die Kinder eine superschöne Kinderspielecke, die mit der Form eines Schiffes die Kinder zum längeren Verweilen einlädt. Unser stolzer Kapitän gibt von seiner Kommandozentrale am Oberdeck des Dampfers unablässig Befehle an den kleinen Leichtmatrosen (seine kleine Schwester) unter ihm, der diese selbstverständlich mit Eifer befolgt.
Zum Glück dauert die Überfahrt fast zwei Stunden, sodass die Kinder ihrem Spieltrieb ausdauernd nachgehen können. Erstaunlicherweise lässt sich unser Sohn bei der Ankunft in Eckerö ohne Proteste von seinem Schiff an Land transportieren.
Ankunft auf den Ålandinseln
Jetzt hat er überraschenderweise überhaupt keine Probleme mehr mit dem Fahrradfahren. Vergnügt thront er auf seinem bequemen Sitz unseres Liegeradtandems und gibt wiederum klare Anweisungen, wohin sein Vater bitteschön lenken soll. Da der Tag schon weit fortgeschritten ist, fahren wir nur bis zum nächsten Campingplatz, der nur wenige Kilometer vom Fährhafen entfernt direkt am Meer liegt. Wir finden einen wunderschönen Platz zwischen niedrig gewachsenen Bäumen und einem kleinen Strand an einem ruhigen Meeresarm der Ostsee.
Die erste Radel-Etappe führt uns in die Hauptstadt der Ålandinseln, nach Mariehamn. Es ist die einzige Stadt der etwa sechzig bewohnten Ålandinseln mit knapp über zehntausend Einwohnern. Neben den bewohnten Inseln gibt es noch sage und schreibe 6.700 unbewohnte Eilande über eine Fläche von 13.500 km² in der Ostsee verteilt. Auf Landkarten wirken die winzigen Inselchen wie der missglückte Versuch, aus einer fast leeren Ketchupflasche noch etwas heraus zu bekommen und dabei den Teller mit unzähligen Spritzern zu besprenkeln. Die größeren Inseln jedoch kann man an einer Hand abzählen und sind aufgrund der Nähe zueinander meist über eine Brücke miteinander verbunden. Die Distanzen sind sehr kurz, was uns als Familie mit kleinen Kindern natürlich sehr entgegenkommt.
Zur Hauptstadt der Ålandinseln nach Mariehamn
Wir fahren bei herrlichem Wetter entlang der Hauptstraße, natürlich mit der Nummer 1, von der Insel Eckerö über den Verwaltungsbezirk Hammarland nach Jomala und schließlich nach Mariehamn. Die Strecke erweist sich als fast flach, zunächst auf der sehr schwach befahrenen Hauptstraße, wie auch auf den ausgewiesenen Radelstrecken, die durch schöne kleine Waldgebiete und entlang der malerischen Küsten führen. Für meinen Mann, der mit Liegeradtandem und Anhänger plus Kinder und Gepäck nahezu hundert Kilogramm bewegen muss, ist eine solche, fast steigungsfreie Strecke Gold wert. Rückblickend hatte er am Anfang unseres Urlaubs in Norwegen größere Schwierigkeiten eine solche Last über die Berge zu ziehen, sodass dies hier für ihn fast einer Erholung gleichkommt. Es ist heute zudem wunderschön sonnig und warm, und so genießen wir die Fahrt in vollen Zügen. Regelmäßig genehmigen wir uns lange Pausen im Wald oder an der Küste und lassen unsere Kinder nach Herzenslust spielen und toben.
Auf dieser langen Reise ist der Weg unser tägliches Ziel. Wir haben diesmal keine Reiseplanung gemacht, keine Tagesetappen festgelegt oder die Tage, wie bei allen unseren vorherigen Reisen, verplant, damit wir das Optimum aus unserer, immer begrenzten, Reisezeit rausholen können. Es ist für uns wirklich das erste Mal, dass es egal ist, wann und wo wir diese Radtour beenden, und ich muss sagen, dass dieses neugewonnene Gefühl der grenzenlosen Freiheit unbeschreiblich guttut.
So belassen wir es heute auch bei den fünfundvierzig gefahrenen Kilometern, als wir am frühen Nachmittag in Mariehamn ankommen. Warum sollten wir auch weiterfahren. Hier können wir unsere Vorräte auffüllen und haben einen schönen großzügig angelegten Campingplatz direkt am Meer. Auf dem dazugehörigen weitläufigen Spielplatz verbringen wir den Nachmittag und freuen uns über das schöne Wetter und die bezaubernden Ålandinseln.