Clara wacht ungewohnt früh und schreiend auf. Sie hat eine heiße Stirn. Auch das noch! Während die Männer das Feld räumen müssen, gebe ich ihr die Flasche. Sie schläft sofort wieder ein und wacht erst nach über einer Stunde wieder auf. Nun scheint es ihr besser zu gehen. Das Fieberthermometer zeigt 37,2 ° an. Wir zögern noch ein wenig, doch da sie von Minute zu Minute munterer wird, entschließen wir uns aufzubrechen. Den Bus lassen wir auf einem, uns geeignet erscheinenden, öffentlichen Parkplatz stehen.
Es ist heute wieder kalt und stark bewölkt, jedoch kein Regnen in Sicht. Hier im Norden ist es viel ruhiger als an der belebten Westküste Hollands. Friesland besticht durch eine einfache, schöne Landschaft und Menschen, die gelassener wirken als im Süden. Die meiste Zeit fahren wir entlang des Deichs durch Schafweiden mit ganz viel »Gaga-Kaka« (übersetzt Schaf-Kot). Die Kinder sind ganz entzückt davon, dass wir so nahe an die Tiere herankommen. Clara deutet aufgeregt auf die wolligen Paarhufer und brabbelt unaufhörlich: Gaga, Gaga, Gaga!
Uns erfreut der Zustand des Weges weniger, da unsere Fahrräder einschließlich wir nach einigen Kilometern von oben bis unten voller »Gaga-Kaka« sind. Bepinselt mit friesisch herbem Duft kehren wir um die Mittagszeit in ein Restaurant ein, und haben nach wenigen Minuten fast das ganze Lokal für uns.
Der Nordseeküstenradweg in Friesland
Bei Hallum verlassen wir die »Waddenzeeroute« (Nordseeküstenradweg) und fahren auf der Hauptstraße weiter, die uns direkt nach Holwerd bringt. Der Nordseeküstenradweg schlägt zwischen den Ortschaften Marrum und Holwerd mächtige Hasenhaken, die wir uns ersparen wollen. Auf den letzten Metern vor unserem heutigen Ziel fängt es ganz leicht an zu nieseln. Als wir den Campingplatz erreichen, hört es unvermittelt auf. Holwerd ist ein sehr hübsches, typisch friesisches Dorf mit einem nostalgischen Ortskern. Gleich neben dem Campingplatz befindet sich die altertümliche Dorfkirche, die zu meinem Entsetzen alle halbe Stunde ein lautes »Ging Gong« von sich gibt. Na, ob das heute Nacht gut geht?
Es ist gut gegangen. Die Kinder haben ohne Probleme durchgeschlafen. Die nächste Erfahrung, die wir auf dieser Reise machen können, ist, dass kleine Campingplätze auf dem Lande wesentlich ruhiger sind, als große Campinganlagen in touristischen Gebieten.
Am Morgen möchten wir heute nicht so recht aufstehen. Es ist so friedlich ruhig auf dem Campingplatz und einfach irre gemütlich in unserem kuscheligen Zelt.
Die ersten Stunden des Tages sind für uns meist auch die schönsten. Die Kinder schlüpfen in unsere Schlafsäcke und fordern ihre Kuscheleinheiten ein. Wir lesen ihnen aus kleinen Pixi-Büchern vor, singen Kinderlieder oder spielen Hoppe-Reiter (ein Spiel, das unsere Kinder gerade im Zelt sehr lieben).
Den widrige Bedingungen zum Trotz
Irgendwann müssen wir dann doch aufbrechen. Es ist heute wieder sehr kalt und in der Nacht hat es des Öfteren geregnet. Der Wind kommt, wie die letzten Tage, aus südwestlicher Richtung. So werden wir auch heute fast den ganzen Tag Rückenwind haben. Wenigstens bleibt uns Gegenwind erspart, denke ich mir angesichts der Kälte, die meine Finger während der Fahrt klamm werden lässt.
Die Strecke zwischen Holwerd und Moddergat führt ausschließlich am Deich entlang durch Schafweiden mit vielen, vielen »Gagas«. Überaus schlecht daran ist, dass es verschiedene Weiden sind, die alle durch ein Viehgatter voneinander getrennt sind. Und eben diese Gatter lassen sich mit einem breiten Kinderanhänger kaum mehr durchfahren.
Am Fährhafen »Lauwerssliuzen« nehmen wir unser Mittagessen in einem Fast-Food-Fischlokal zu uns. Schon lange habe ich keinen so guten Fisch mehr gegessen wie hier. Auch die Kinder schmausen eifrig mit. Seit einigen Tagen isst Clara schon wie ein vollwertiges Familienmitglied mit, und stellt in den Mengen, die sie vertilgt, selbst ihren großen Bruder in den Schatten.
Nach einer ausgiebigen Rast geht es munter weiter. Hinter der Ortschaft Lauwersoog gibt es zwei Möglichkeiten auf dem Nordseeküstenradweg weiterzufahren. Die erste führt entlang der Hauptstraße, die zweite durch ein militärisch genutztes Naturschutzgebiet. Wir entscheiden uns natürlich für letzteres. Der Weg durch das Naturschutzgebiet ist als Radweg nicht mehr gekennzeichnet. Wir müssen uns an den Spuren der Fahrradfahrer orientieren, die diese Strecke vor uns geradelt sind. Man kreuzt Sandpisten, fährt an einer verlassenen Siedlung vorbei und muss eine Brücke mit Stufen überqueren, was jedoch ohne weiteres machbar ist. Das alles liegt in einer wunderschönen Landschaft mit viel Wald, Wiesen und natürlichen Bachläufen. Durch die vielen Kameraanlagen fühlt man sich gleichwohl ein wenig beobachtet und hat ständig das Gefühl in eine verbotene Zone eingedrungen zu sein. Für mich war dieses kurze Stück jedoch das schönste was wir in Friesland gefahren sind. Nach knapp sechs Kilometern ist der ganze Spuk wieder vorbei und man fährt auf recht unspektakulären Wegen weiter. Wir erreichen unser heutiges Ziel am frühen Nachmittag.
Auf unseren Fahrradtouren versuchen wir immer gegen Nachmittag unser Ziel zu erreichen. Damit haben die Kinder noch genügend Zeit sich selbst zu bewegen und zu entfalten. Die Spielplätze auf den Campingplätzen kommen uns natürlich sehr entgegen. Heute haben wir wieder einen wirklich schönen und ruhigen Campingplatz erwischt. Der Spielplatz liegt im Zentrum des Platzes und um den riesigen Sandkasten liegt jede Menge Sandspielzeug herum. Die Kinder sind jetzt natürlich schwer beschäftig und wir genießen in aller Ruhe unseren wohlverdienten Nachmittagskaffee.
Am Abend fängt es wieder an zu regnen. Nach dem zweiten trockenen Tag infolge war es fast schon zu erwarten, dennoch verbreiten die dunklen Wolken am Himmel bei uns wieder schlechte Laune.
Was sich gestern Abend drohend angekündigt hat, wird heute zur traurigen Gewissheit. Der Regen hat uns wieder. Die ganze Nacht begleitete uns das unaufhörliche Trommeln der Regentropfen auf dem Zeltdach und selbst heute Morgen plätschert es munter weiter. Paul wird in „Kampfausrüstung“ – so nennen wir die Regenmontur unserer Kinder – hinausgeschickt und wir Erwachsenen hängen das Innenzelt aus. Somit können wir alle im Trockenen frühstücken und in aller Seelenruhe einpacken. Clara ist die einzige, die bei der ganzen Sache etwas störend wirkt. Aber daran üben wir noch.
Leider haben wir keine andere Wahl und müssen weiterfahren. Nachdem wir alles schön nass verpackt haben, ziehen wir gegen 10 Uhr los. So als wolle die Sonne uns ermutigen, zeigt sie sich, allerdings nur ansatzweise, für eine kurze Zeit. Die Wege an den Schafweiden entlang werden zunehmend problematischer. Irgendwann geht der Kinderanhänger beim besten Willen nicht mehr durch das enge Gatter. Wir müssen den Anhänger abkoppeln und über das verschlossene Gatter heben. Diese Prozedur machen wir zwei Mal auf wenigen hundert Metern. Beim dritten Gatter geben wir schließlich auf und verlassen den Nordseeküstenradweg über eine Nebenstraße, die uns zur Hauptstraße N 33 führt. Auf einem Radweg entlang der Hauptstraße erreichen wir etwas genervt die Ortschaft Delfzijl. Clara hat heute kaum geschlafen, da wir sie, immer wenn sie gerade am Einschlafen war, durch das Abkuppeln und Herumhieven wieder aufgeschreckt haben. Demnach ist ihre Laune gerade nicht die beste, und diese Tatsache tut sie lautstark kund.
Ungeplant wieder auf der Rückreise
In Delfzijl angekommen müssen wir auch noch erfahren, dass der in unserem Reiseführer eingezeichnete Campingplatz nicht mehr existiert. Was nun? Wir spielen mehrere Möglichkeiten gedanklich durch und entscheiden uns dann für die aufwendigste und stressigste Variante.
Wir werden mit dem Zug über Appingedam nach Groningen fahren und dort in den Zug nach Harlingen umsteigen. Alles kein Problem! Dennoch! Es ist jetzt kurz vor 16 Uhr, die Kinder sind müde und schlecht gelaunt, in zehn Minuten geht der Zug und wir haben keine Möglichkeit ein Ticket zu kaufen. Wir hechten über den Bahnsteig und ochsen mit Hilfe anderer Reisender die Fahrräder samt Anhänger in den Zug. Glücklicherweise ist der Schaffner ein netter Mann, da er uns bis Groningen ohne zu zahlen mitfahren lässt. Dort berappen wir die gesamte Summe und haben sogar weniger Schwierigkeiten beim Umsteigen als erwartet. Ende gut alles gut! Der Tag geht sehr spät zu Ende. Um 18.30 Uhr erreichen wir völlig erschöpft Harlingen.
Den Kindern hat der heutige Tag nicht gut getan. Die beiden finden heute Abend überhaupt keine Ruhe. Erst gegen 10 Uhr kehrt endlich Frieden ein.