Wandern ohne Wege – die Strecke 46, eine vergessene Autobahn vom Spessart in die Rhön – Lost Places

Die Strecke 46

Lost Places – auf der Suche nach dem Abenteuer

Manchmal kommt man auf seltsame Ideen und entwickelt ein befremdliches Interesse für Dinge, die – vielleicht aus gutem Grund – längst in Vergessenheit geraten sind und die man eigentlich nicht aus ihrem Dornröschenschlaf zum Leben erwecken sollte. So zwiespältig meine Gefühle für mein Vorhaben, die Strecke 46 zu laufen,  waren, so stark entwickelte sich bei mir der Drang und die Abenteuerlust einen Lost Pace zu erforschen, der aus einer der dunkelsten Vergangenheiten der Deutschen Geschichte erzählt, aus der Zeit des Nationalsozialismus. Doch zunächst möchte ich hier ein paar Daten und Fakten zur Strecke 46 wiedergeben, die Historiker zusammengetragen haben und welche eine – sicher unvollständige – Geschichte vom längsten Baudenkmal Bayerns erzählen.

Die Strecke 46

Die Geschichte der Strecke 46 – eine vergessene Autobahn und Lost Place

Bei der Strecke 46 – wie sie allgemein genannt wird – handelt es sich um das Teilstück einer geplanten Reichsautobahn welche zum projektierten Netz von Reichsautobahnen zur Zeit des Nationalsozialismus zählte. Die beabsichtigte Autobahn sollte als Nordsüdverbindung das fränkische Würzburg mit dem Hessischen Fulda verbinden. Als Strecke 46 wurde das 70 Kilometer lange Teilstück zwischen Würzburg und Bad Hersfeld der geplanten Route bezeichnet. Mit dem Bau dieses Autobahnabschnitts wurde 1937 begonnen und mit Kriegsbeginn 1939 schon wieder eingestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde an knapp 30 km zusammenhängender Strecke gebaut (der heutige Abschnitt zwischen den unterfränkischen Orten Schonderfeld und Rupoden).

Brückenpfeiler bei Schonderfeld
Unvollendeter Brückenpfeiler bei Schonderfeld

Bei der Planung des Streckenverlaufes orientierte man sich nicht an wirtschaftlichen Aspekten. Zur Zeit des Nationalsozialismus waren solche Bauvorhaben vor allem ideologisch motiviert. Das Netz an geplanten Reichsautobahnen war Teil der nationalsozialistischen Propaganda, mit der die Menschen beeindruckt werden sollten. Die „Straßen des Führers“, wie sie genannt wurden, sollten durch besonders reizvolle Gebiete Deutschlands führen und dem Autofahrer somit die Schönheit Deutschlands vor Augen halten.

Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts dienten Autostraßen und Autobahnen nicht immer ökonomischen Interessen, sondern waren oftmals als Erholungsstraßen angelegt, auf denen der Bürger fahren und sich dabei die Schönheit seiner Heimat vergegenwärtigen sollte. Der in den 1930er Jahren gebaute Skyline Drive durch den Nationalpark Shenandoah im Osten der USA ist ein weiteres berühmtes Beispiel solcher „Touristen“-Straßen.

Brückenbauwerk mitten im Wald
Brückenbauwerk mitten im Wald zwischen Burgsinn und Rossbach

Die zunehmende Motorisierung Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wollten sich auch die Nationalsozialisten zu eigen machen und nahmen daher die alten, schon aus der Weimarer Republik bestehenden, Baupläne von Autobahnen gerne auf, ohne es natürlich zu versäumen diese als ihre eigenen großartigen Projekte darzustellen. Tatsächlich bestanden die Baupläne für die Autobahnen  bereits seit 1927, wurden in der Weimarer Republik jedoch nicht favorisiert. Hitler nahm die alten Baupläne jedoch begeistert auf und machte sie zu nationalsozialistischen Prestigeprojekten. Seine Vision der „Volksmotorisierung“ in Verbindung mit dem „Autowandern“ durch schöne deutsche Landschaften hatte den Zweck die Größe und Stärke seiner Macht zu untermauern. Die Reichsautobahnen sollten sichtbare Symbole für die Beständigkeit und Monumentalität seines tausendjährigen Reiches werden. Heute sind die Ruinen dieser nie fertiggestellten Autobahnen stumme Mahnmale und Zeugen eines Größenwahns, der schließlich in die größte Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts mündete.

Entwässerungskanal der Strecke 46
Entwässerungskanal der Strecke 46

Die Strecke 46 heute – Streckenverlauf und Baudenkmäler

Die Strecke 46 ist mit ihrer Länge von 70 Kilometern die längste historische Autobahnruine Deutschlands und zugleich ein Technikdenkmal aus den Anfängen des deutschen Autobahnbaus. Alle noch verbliebenen Bauwerke entlang der Strecke stehen deshalb unter Denkmalschutz.

Erklärungstafel bei Bettlersruh
Erklärungstafeln – wie hier bei Bettlersruh – liefern geschichtliche Hintergründe

Die Strecke 46 liegt am nordöstlichen Rande des Spessarts in Unterfranken und führt bis zur bayerischen Grenze in der südlichen, hessischen Rhön. Erste Bauwerke der Strecke 46 befinden sich im Wald kurz vor der Ortschaft Seifriedsburg ca. 45 Kilometer nördlich von Würzburg.

Auf dem 40 Kilometer langen Abschnitt zwischen den Ortschaften Seifriedsburg und Rupoden findet man noch 47 erhaltenen Bauwerke der Strecke 46. Dies sind überwiegend Brücken und Brückenpfeiler, aber auch Entwässerungsgräben und Steinfundamente, die meist mitten im Wald stehen. Auf dem 30 Kilometer langen Abschnitt zwischen Schonderfeld und Rupoden kann man zudem die Trassierung der Strecke 46 fast lückenlos durch die immer noch zu erkennenden, aufgeschütteten Erdkörper am Fahrbahnrand erkennen.

Sehr gut zu erkennende Trassenführung der Strecke 46
Sehr gut zu erkennende Trassenführung der Strecke 46

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der Bau der Autobahn in seiner ursprünglich geplanten Streckenführung verworfen. Lediglich der nördliche Teil der ehemaligen Strecke 46 von Bad Hersfeld bis nach Fulda-Eichenzell wurde als Streckenführung für den Neubau einer Autobahn herangezogen. Im südlichen Verlauf wählte man stattdessen eine andere Route, welche an der Großstadt Schweinfurt vorbeiführt. Somit entstand die heutige A7 etwa 20 km weiter östlich der Strecke 46.

Halbe Brücke zwischen Gräfendorf und Burgsinn
Halbe Brücke zwischen Gräfendorf und Burgsinn

Unsere Wanderung auf der vergessenen Autobahn „Strecke 46“

Die Idee zum Wandern auf der Strecke 46 kam mir durch einen Zeitungsartikel in der Regionalpresse. Wir wohnen nicht weit von der historischen Autobahn entfernt und einige der Bauruinen sind mir schon seit meiner Kindheit bekannt. Das dicht bewaldete Gebiet, durch den die Strecke 46 führt, war bis dato für mich ein weißer Fleck auf der Landkarte. Die Sinn- und Saaletal verbindende Landstraße MSP 17 war zu meiner Jugendzeit als eine sehr wenig befahrene Landstraße berüchtigt, auf der man des nachts möglichst nicht alleine unterwegs ist. Und spätestens seit dem Fund einer eingemauerten Leiche in einem Entwässerungsschacht der Strecke 46 umgab das Gebiet für mich ein Hauch von furchteinflößendem Unbehagen. Vielleicht war dies für mich die Triebfeder für unsere Wanderung auf der Strecke 46. Das Vorhaben hatte den Touch eines schaurigen Abenteuers. Ohne es zu wissen folgte ich hiermit einer stetig wachsenden Fangemeinde, die sich auf das Entdecken und Erforschen von „vergessenen Plätzen“ (Lost Places) verschrien haben.

Bauruine an der Strecke 46
Bauruine mit unklarer Bedeutung an der Strecke 46

Zunächst einmal möchte ich daraufhin weisen, dass die Strecke 46 kein Wanderweg ist. Nur ein ganz kleiner Teil dieses Baudenkmals wird als Wanderweg ausgewiesen. Auf dem größten Teil der 30 Kilometer langen ehemaligen Autobahntrasse läuft man querfeldein, zumeist durch dichten Wald. Wir beginnen unsere Wanderung am unvollendeten Brückenpfeiler bei Schonderfeld.

GPS-Daten zur Strecke 46 zu finden ist zugegebenermaßen sehr schwierig. Und selbst mit der entsprechenden Navigation benötigt man zuweilen etwas Geduld und ein gutes Auge, um die Streckenführung in real zu erkennen und ihr zu folgen, denn nicht immer sind die GPS-Daten korrekt. Aktuell gibt es bei OpenStreetMap einen Streckenverlauf, welcher mit der realen Strecke 46 ziemlich identisch ist.

Erste zu erkennende Streckenführung bei Schonderfeld
Erste zu erkennende Streckenführung bei Schonderfeld

Gleich zu Beginn unserer Wanderung verlieren wir die Orientierung und stolpern über Wiesen und Felder. Nach einem Kilometer allerdings ist im dichten Wald eine breite Trasse zu erkennen, die auf eine ehemalige Fahrbahn schließen lässt. Der Weg führt steil bergan und endet ziemlich schnell im Nichts. Orientierungslos folgen wir dem GPS-Track, der uns über eine geteerte Forststraße zur MSP 17 führt. Kurz vor der Landstraße weißt uns das GPS parallel in den Wald, der hier eine unnatürlich breite und schnurgerade Schneise aufweist. Die Strecke 46? Nach wenigen Metern entdecken wir ein erstes Relikt der Strecke 46, ein breites Beton-Fundament, das sich kaum noch von der umliegenden Natur abhebt. Es ist aufregend und seltsam zugleich einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Welche Menschen waren das, die hier unter widrigsten Bedingungen hart arbeiten mussten, für etwas, das von Beginn an zum Scheitern verurteilt war, um wenige Jahre später in einem noch unsinnigeren Krieg zu sterben? Nachdenklich und etwas bedrückt folgen wir weiter der Strecke 46.

Wanderweg der Strecke 46
Ein kurzer Wanderweg der Strecke 46

Auf den nächsten 10 Kilometern ist die Strecke 46 sehr gut zu erkennen an den parallel verlaufenden Erdaufschüttungen, die den linken und rechten Fahrbahnrand erkennen lassen. Der Strecke zu folgen erweist sich dennoch als schwierig, da man hin und wieder aus dem Brombeerdickicht nicht wieder herausfindet. Des Weiteren liegt die Strecke 46 abschnittsweise auf eingezäuntem Privatgelände oder direkt auf der Landstraße MSP 17. Niedrige, dicht bewachsene Nadelbaumplantagen erschweren ebenfalls das Folgen der Strecke. Bis zur Querung der MSP 17 bei Burgsinn finden wir weitere Bauwerke im Wald. Etwa 2 Kilometer davor ist die Strecke 46 als Wanderweg angelegt und gut zu begehen. In der Gemarkung Schulruh bei Burgsinn überspannt das erste große Brückenbauwerk die MSP17.

Brückenbauwerk bei Burgsinn
Brückenbauwerk der Strecke 46 überspannt die MSP 17 bei Burgsinn

Im weiteren Verlauf der Strecke 46 finden wir immer wieder alte Bauwerke. Die Strecke 46 läuft hier fast parallel zur Spessarthochstraße, einer geschotterten Straße, die den Spessart mit der Rhön verbindet. Bei km 15 am Bettlersruh Brunnen ist eine ehemals geplante Raststelle erkennbar. Bis zur Ortschaft Rossbach (bei km 20) ist die Strecke 46 fast lückenlos erkennbar. Auf den letzten 5 km von Rossbach bis zum Ende der Strecke 46 bei Rupoden findet man nur noch unzusammenhängende Fragmente der ehemaligen Autobahntrasse. Bei Rupoden steht der letzte sehr gut erhaltene Brückenbau. Wenige Meter weiter markiert die Staatsstraße 2289 das Ende der Strecke 46.

Gut erhaltene Brücke bei Rupoden
Sehr gut erhaltene Brücke bei Rupoden

Update:

Einige Monate später wanderten wir den Abschnitt zwischen Schonderfeld und Seifriedsburg in die entgegengesetzte Richtung (also nach Süden). Auch auf dieser ca. 10 km langen Strecke entdeckten wir wieder zahlreiche unfertige und verlassene Bauwerke der Strecke 46.

Strecke 46
Radweg überspannende Brücke zwischen Schonderfeld und Wolfsmünster
Strecke 46
Gut erhaltener Entwässerungstunnel im Wald bei Seifriedsburg

Seit kurzem gibt es eine App für die Strecke 46. Die Spurensucher-App mit dem Namen AR46  ist u.a. im play store erhältlich und ist sicher ein super tool für eine Wanderung auf der Strecke 46, da sie viele Hintergrundinformationen bietet. Getestet haben wir diese App zwar noch nicht, werden das in Kürze aber nachholen und dann berichten.

Weiterführende Informationen über den Lost Place „Strecke 46“ erhält man unter folgenden Webseiten:

Strecke 46 (mit dem Angebot kostenloser Führungen!)

„Strecke 46 “ des Regionalmanagement Main-Spessart

Strecke 46 Lost Places
Ein weiteres Bauwerk des Lost Place „Strecke 46“

Wenn dir dieser Artikel gefallen hat, freue ich mich über einen Kommentar von dir. Für weitere Fragen stehe ich selbstverständlich gerne zur Verfügung. 

← zurück zur Übersicht Wandern und Fernwandern

Oder zu unserer interaktiven Wanderkarte →

2 Kommentare zu „Wandern ohne Wege – die Strecke 46, eine vergessene Autobahn vom Spessart in die Rhön – Lost Places“

  1. Hallo,
    wir waren gestern bei widrigen Bedingungen N Gräfendorf auf der Höhe bis zur Bettlerruh unterwegs. Inzwischen dort übermäßig ausgeschildert. Dennoch sehr interessant. Weite Teile der Strecke befanden sich auf der Höhe unter Wasser, da es die letzten Tage stark geregnet hatte. Besser also im Herbst oder Frühjahr.
    Gruß

    Matthias

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.