Ein Reisebericht von Volker Otter
Gut, dass wir wieder vorgebucht haben. So leer, wie ich den Olympic Nationalpark im Bundesstaat Washington aus den 90ern kenne, ist er schon lange nicht mehr. Wir landen im Bogachiel State Park mit seinem geräumigen und gut ausgestatteten Campingplatz (Duschen!) mit geräumigen Plätzen unter alten bemoosten Rot-Zedern fast direkt am Fluss, 20 Fahrminuten von Forks entfernt, dem Twilight-Städtchen, strategisch gut gelegen zwischen Regenwald und Pazifikküste (beides Teile des Olympic National Parks) und mit Anbindung an Visitor-Center, Supermarkt und einem überragenden General Store, in dem man alles bekommt von Arbeitskleidung, Axt und Säge über Zelte, Wanderstiefel, Schlafsäcke und Wollsocken sowie Therm-a-Rest-Matratzen (günstiger als in Deutschland), bis hin zu Angelbedarf, Munition und Streetwear. Ansonsten ist Forks ein eher trüber Ort, aber was soll’s, hey, es gibt einen Waschsalon und WLAN am Visitor Center und alles, was wir brauchen. Und wir sind ja nicht wegen Twiglight hier. Es regnet ausdauernd bei frischen 10-17 Grad, Regen und Wald = Regenwald. Und wenn man aufhört, auf besseres Wetter zu hoffen, dann ist der Regen auch gar nicht mehr so schlimm, man muss nur aufhören ständig auf die Wettervorhersage zu starren.
Auf gravel roads folgen wir dem Bogachiel River von unserem Campingplatz aus für ein paar Kilometer mit dem Auto, bis es nicht mehr weitergeht. Von dort laufen wir einen wunderschönen und einsamen Loop durch National Forest Land mit einem Abstecher in den Olympic National Park hinein, immer wieder lebendige Baumriesen und gefallene Riesen, auf denen wieder neue Riesen anfangen zu wurzeln. Tiefes Moos, leises Regengeriesel, Bach- und Sumpfgeglucker, Farne, dunkle Grünschattierungen, federnder Boden, Bäche, der Fluss, alles quatschnass, auch unsere Stiefel. Für die Jugendlichen ein Riesenspaß, wenn ein Elternteil dann bei einer Bachquerung von einem Stein abrutscht und bis zum Knöchel im Wasser steht, toll, aber die Gamaschen verhindern die totale Durchnässung. Ob wir Goretexjacken tragen oder nicht, ist wurscht. Bei den Temperaturen und der Luftfeuchtigkeit sind wir nass, außen und innen, auch egal, um uns herum alles nass, ursprünglich und wild. Hierhin verirren sich nur wenige. Ob wir unsere Sachen jemals wieder trocken bekommen?
Ein Backpackingtrip entlang der Küste wäre ein „See-You-Again“ gewesen. 1997 bin ich schon einmal vom der Makah-Reservat im Norden bis zum Rialto Beach gewandert, damals kamen noch nicht so viele Menschen hierher, gab es noch keine Regulierungen, heute ist es anders und uns in der Organisation zu kompliziert. Zum Rialto Beach bei La Push fahren wir trotzdem, die Küste ist immer noch wild und je weiter wir vom Parkplatz wegkommen, desto mehr verlieren sich die Menschen am weiten Strand mit seiner wilden Brandung, den Felsinseln, den wunderschönen Tide-Pools, den bleichen Baumriesengerippen, auf denen Weißkopfseeadler sitzen und rufen. Wir laufen nach Lust und Laune, bis uns ein fieser Wind mit Regen zum Umkehren bewegt. Im Camp kriegen wir noch ein Feuer zustande und grillen Marshmellows und trinken Limo und Bier unter unserem Tarp, das uns in regenreichen Zeiten immer ein trockenes Plätzchen beschert. Und als hätte das Hoffen auf besseres Wetter genutzt, kommt am nächsten Tag die Sonne heraus, es wird Sommer.
Wir fahren zum Hoh Rain Forest. Im Gegensatz zum Bogachiel Rain Forest sind hier viele Menschen unterwegs, aber auch hier gilt, je weiter weg vom Parkplatz, desto weniger Menschen. Wer die Einsamkeit sucht, ist hier falsch, wer den Regenwald trotzdem genießen will, genau richtig. Diesmal erleben wir sonnendurchfluteten Regenwald (ohne Regen!) mit unfassbar vielen Grünschattierungen. Wieder diese mit Moos behangenen Waldgiganten. Tolkien könnte hier seine Ents aus dem Herrn der Ringe phantasiert haben. Dieser Wald hat noch nie eine Motorsäge gesehen.
Der Pfad windet sich entlang dem Hoh River, dem man bis ins Hochgebirge folgen könnte. Wir könnten wandern und wandern. Auf einer Sandbank am Hoh River machen wir Halbzeit, der Weg zurück ist der gleiche, aber auch komplett anders. Das Nachmittagslicht fällt schräger, die Schatten und Blickwinkel sind andere, ein Genuss für die Augen mit einem Bad in Grüntönen, für die Ohren mit Bachgemurmel, Waldgemurmel und -gewispere und dem begleitenden Flussrauschen, für die Nase mit Wald- und Sumpfgerüchen. Abends wieder ein Feuerchen und ein kurzes Bad im Bogachiel River. Die Luft wird schnell kühler, ist aber noch sommerlich warm.
Und das Wetter hält auch noch den nächsten Tag. Nachdem der Nebel sich verzogen hat, brennt uns die Sonne am Third Beach auf den Nacken. Der Strand wird immer menschenleerer und wilder. Eine tote Robbe bietet ein Festmahl für einen Weißkopfseeadler. Über die Headlands müssen wir über Strickleitern oder mit Hilfe von Seilen durch den schmierigen Lehm nach oben kraxeln, ein höchst abenteuerlicher Spaß für unsere Jugendlichen. Dann auf der anderen Seite wieder herunter und weiter am Strand entlang, riesige Urwaldbäume, die sich der Pazifik geholt hat, liegen wahllos herum. Mit angespültem Kelptang liefern wir uns Schlachten und lassen es uns gut gehen, genießen den Strand, die Sonne und die Aussicht auf die vielen Felsnadeln des Giant’s Graveyard im Meer, die anzeigen, wo einmal Festland war und wie alles im Wandel begriffen ist. Manchmal begegnen wir Backpackern, die den Strand entlang ziehen, manche machen einen erschöpften Eindruck, manche frisch verliebt in die Szenerie und in einander, wer weiß…
Würde das Wetter halten, wie schwer fiele uns der Abschied vom Olympic National Park in Washington State, wie viel gäbe es hier noch zu erkunden, aber es ist gnädig, der Himmel ist wieder bedeckt, die Temperatur wieder herbstlich und Regen zieht auf. Wir brechen wieder auf, zurück nach Kanada, ins Innere von British Columbia, nach Nordosten.
Welche Highlights kennst du im Olympic National Park in Washington State?? Wir freuen uns, wenn du sie mit uns teilst!
Dieser Reisebericht ist Teil der Serie „Reisen mit Jugendlichen durch Kanada – Von der Pazifikküste in die Prärien“. Wenn du weiterreisen möchtest, geht es hier zum ersten Teil der Reise in Kanada → 1. Teil Vancouver und Pender Island