Wie alles begann und wie es manchmal weitergeht
Vor ein paar Wochen erreichte mich ein Zeitungsausschnitt mit der Nachricht, dass Rüdiger Nehberg gestorben sei. Diese Nachricht schlug bei mir ein. Rüdiger Nehberg war in meiner Jugend eines meiner Idole, Survival das große Stichwort und letztlich waren es aus heutiger Sicht die Abenteuer vor der Haustür, die das Leben so spannend gemacht haben, Wanderungen und Übernachtungen ohne Schlafsack und Zelt irgendwo an der Steilküste oder im Wald. Ohne das hätte ich nie erfahren, wie lecker Bärlauch und Birkenwasser sind oder Miesmuscheln in einer gefundenen Bierbüchse gekocht, wie gut ein Lagerfeuer riecht, wo Zecken sich überall festbeißen können. Natürlich würde ich heute davon nicht alles wiederholen wollen und auf frisches, überfahrenes Kaninchenfleisch (wenn auch über dem Feuer gegrillt) würde ich heute eher verzichten, für ein Eisbad im Torfstich würde ich mich in der Schlange eher ganz hinten anstellen. Ob ich begeistert wäre, wenn meine Kinder damit anfingen?
Ja und Nein, also ein klares Jein. Trotzdem, diese Zeit hat damals genau gepasst. Sachen ausprobieren, Horizonte erweitern, Draußen sein, an Grenzen gehen, Schauen wollen, was hinter der Wegbiegung liegt, Herausforderungen kreativ angehen. All das – durch Rüdiger Nehberg inspiriert – war der Türöffner fürs Reisen, das abenteuerliche Reisen mit allen Sinnen, das mich bis heute immer wieder mit Sehnsucht, Neugier, Leidenschaft und Freude erfüllt. Wer weiß, wäre ich Nehberg nicht in seinen Büchern und Vorträgen begegnet, vielleicht wäre ich heute ein anderer. Nicht besser oder schlechter, einfach anders. Später kam Nehbergs Engagement für Menschenrechte hinzu, wiederum ein Türöffner an der Schwelle zum Erwachsenwerden, um sich Gedanken um die Welt zu machen: der Einsatz für die Yanonami und die Waiapai im Amazonasgebiet, die Gründung von Target e.V., um gemeinsam mit islamischen Würdenträgern gegen die Genitalverstümmelung von Mädchen und jungen Frauen anzugehen. Für mich war und ist Rüdiger Nehberg ein Großer unserer Gesellschaft, nach wie vor ein Vorbild, ein offener, mutiger und kreativer Geist und Querdenker. „Dem Mut ist keine Gefahr gewachsen“, der Titel seiner Autobiographie spricht für sich.
Rückblick – erste Abenteuertouren in der Heimat
Auf Reisen und Abenteuern, zuerst im jugendlichen, heimischen Umfeld, auf den ersten Wanderungen durch Wälder und Moore vor der Haustür hatte ich ihn bewusst oder unbewusst irgendwo im Kopf und Hinterstübchen. Später das Gleiche irgendwo in Deutschland, als wir von Aachen nach Trier wanderten, aber auch bei den Lakota auf der Pine Ridge Reservation im Camp Justice, mit dem die Lakota für ihre vertraglichen Rechte eintreten, bei turkmenischen Halbnomaden in den Bolkar-Bergen oder neben Grizzlies und Bisons. Die Welt ist ohne die Haustür nicht denkbar, die Idee der Abenteuer vor der Haustür das Fundament für die Erkundung der Welt.
Schließlich lebe ich den Großteil des Jahres nämlich genau dort, vor meiner Haustür. Und manchmal entdecke ich einen neuen Pfad, eine Ecke, an der ich schon tausendmal vorbei gegangen bin, ohne genau hinzuschauen. Vor ein paar Tagen waren es blühende Aaronstäbe unweit eines Basaltfelsens, den ich per Zufall entdeckte, daraus ergeben sich wieder neue Vorhaben, erweiterte Radtouren über einen ehemaligen Truppenübungsplatz …und schwupps… bin ich mit einem Schäfer im Gespräch, während ich seinem Hütehund die Ohren kraule. Und so geht es immer weiter, das Abenteuer vor der Haustür, das irgendwann mit Rüdiger Nehberg begann.
Wenn ich darüber nachdenke, kommen mir immer mehr Geschichten in den Sinn. Neulich am Lagerfeuer kamen wir mit unseren Kindern ins Erzählen, unsere individuellen Geschichten, unsere Familiengeschichten. Mein großer Sohn sagte, dass es doch toll wäre, so voller Geschichten zu sein. Und die ersten Geschichten finde ich ja schon bei meinen Kindern wieder, die jetzt beginnen, ihre eigenen Geschichten zu erzählen (am Lagerfeuer), ihre Bilder von gemeinsamen Unternehmungen, die Einsicht, dass unser Aufenthalt in Kanada im letzten Sommer irgendwie besonders war, das Zelten in der Weite der Prärien, die Kojoten, das Trekking, ganz weit draußen zu sein.
Und heute……, Abenteuer vor der Haustüre
Dabei muss es gar nicht spektakulär sein, ein Bericht über die neuen Trails vor der Haustür, die heute ausprobiert wurden, ist genauso wichtig. Abenteuer vor der Haustür gehen weiter, insbesondere in Corona-Krisen-Zeiten. Bei uns im Wald gibt es haufenweise Trails zum Mountainbiken und wo sie sind und wo man wieder herauskommt, ist auch kein Problem mehr, auch wenn man manchmal noch woanders rauskommt, als vorher gedacht, aber so gewinnt mein Sohn Orientierung und erweitert seinen Horizont.
„Nimm dein Handy mit, falls einer von euch stürzt! Fahrt vorsichtig!“. Typisch Eltern, wenn mein Sohn mit seinem Kumpel unterwegs ist und ich weiß auch, dass der Handyempfang dort im Wald meistens ziemlich schlecht ist und dass die beiden das dann schon irgendwie selber hinkriegen werden. Welche Trails sie irgendwo herunterdonnern will ich gar nicht so genau wissen. Ich weiß aber, dass sie es können und dass sie ohne das Gefühl von Abenteuer (ohne Eltern) kein Gefühl für den Umgang mit Grenzen und Risiken erlernen werden. Und das ist schließlich das, woran sie wachsen. Und das ist abenteuerlich. Und deshalb freue ich mich gewaltig, wenn mein Sohn irgendwann wieder verschwitzt und dreckig vor der Tür steht und eigene Geschichten erzählt, der eine oder andere Sturz und die eine oder andere Prellung oder Schürfwunde gehören wohl mit dazu. Und so geht das dann weiter, was irgendwann mit Rüdiger Nehberg begonnen hat, mittlerweile leider ohne ihn, von vor der Haustür bis hinein in die Welt.
Hallo aus Stuttgart ! Ein schöner und emotionaler Beitrag über Rüdiger Nehberg, den ich bis heute nicht kannte. Und dann die Verbindung zur eigenen Person und Familie, in die hinein sich die eigenen Erfahrungen aus den 80-ern bereits „vererbt“ haben. Ich habe Outdoor-Abenteuer vor über 20 Jahren, so in der Mitte meines bisherigen Lebens, kennengelernt: durch einen Freund, der damals viel auf West- und Mittelweg im Schwarzwald unterwegs war und mich eines Tages in einer persönlichen Krisenzeit auf den Kinzigtäler Jakobsweg mitgenommen hat. Das war für mich ein – vielleicht mit Rüdiger Nehberg vergleichbares – Ur-Erlebnis: Das Übernachten unter freiem Himmel, Selberkochen, die relative Einsamkeit – zu zweit waren wir ja meistens, aber eben doch weit weg von anderen Menschen und von gewohnter Zivilisation. Und natürlich die auch weniger angenehmen Naturerlebnisse, wie Blasen an den Füßen oder ein nächtlicher Schneesturm.
Diese Erfahrung prägt mich bis heute und ich wünsche sie auch anderen. Bis heute kombiniere ich meine Urlaube mit Outdoor-Elementen, wenngleich ich länger nicht mehr mit Zelt wandern oder Fahrradfahren war, sondern eher in günstigen Frühstückspensionen nächtige: Beispielsweise habe ich den Gaskocher immer im Reisegepäck: Zumindest der Kaffee muss auf einer größeren Tagestour „outdoor“ gekocht und genossen werden. Alles andere schmeckt nicht halb so gut 🙂
Danke Thomas für deinen emotionalen Kommentar. Ja, die Erfahrungen mit Outdoor sind vielschichtig und können ein Türöffner für ein glücklicheres Leben sein. Es freut mich, wenn Menschen durch unsere Geschichten an ihre ganz privaten Erlebnisse mit Freude erinnern.
Hi Thomas,
ja, aus Abenteuern vor der Haustür, können Abenteuer werden, die das Leben prägen, Nehberg hat irgendwann die Wende zum Einsatz für Menschenrechte über die Gesellschaft für bedrohte Völker und Target e.V. geschafft, seine Mission. So groß muss man nicht, wichtig die Erfahrung, das Abenteuer, die Entschleunigung, die Reduktion auf Wesentliches, aus der etwas Neues – was auch immer – entsteht. Leben halt.