Die letzte Nacht war mit Abstand die schlimmste, die ich jemals auf Reisen erlebt habe. Wir (das heißt eigentlich mein Freund) suchten uns einen „wunderschön romantischen“ Schlafplatz auf den Klippen aus. Zehn Schritte nach links war ein Abgrund, zehn Schritte nach rechts war ein Abgrund, und zehn Schritte nach vorn war … na was wohl? Richtig! Ein Abgrund. Und wir mittendrinn in einer Senke, nur durch einen kleinen Erdwall ins Landesinnere geschützt. Wie gesagt war dieser Platz sehr romantisch. Leider fing es gegen Abend fürchterlich zu stürmen an. Der Wind fegte über die Klippen mit solch einer Stärke hinweg, dass das Zelt auf die Hälfte seiner Höhe zusammenschrumpfte. Ich habe die ganze Nacht, aus Angst wir könnten in den Abgrund geweht werden, kein Auge zugetan. In Zukunft werde ich die Schlafplätze auswählen.
Am frühen Morgen ist der ganze Spuk wieder vorbei und ich aufgrund von Schlafmangel total übermüdet und nicht ansprechbar. Was sich mein armer Freund von mir anhören musste, verschweige ich hier lieber.
Der Wind bläst heute immer noch kräftig, der Regen aber hat sich verzogen, auch wenn dicke, schwere Regenwolken über die Insel ziehen. Jeden Leser der glaubt, dass das azorianische Klima dem der Karibik ähnelt, den muss ich leider enttäuschen. Es ist zwar auf den Inseln oft karibisch warm, aber leider auch sehr unbeständig und regnerisch.
Wir fahren weiter über die Nordwestküste der Insel Sao Miguel. In den Dörfern der Nordküste gibt es wenige, bis keine, Einkaufsmöglichkeiten. Nur in der etwas größeren Ortschaft Capelas finden wir einen gut sortierten Supermarkt mit Bäckerei.
Aufkommende Probleme beim Radfahren in der Schwangerschaft
Die Verpflegung meinerseits gestaltet sich ein bisschen schwierig. Auf dem Land ist das Sortimentsangebot sehr spärlich. Nur einheimischen Käse gibt es in rauen Mengen überall zu kaufen. Leider können wir den Insulanern nicht begreiflich machen, dass wir einen Käse suchen, der nicht aus Rohmilch hergestellt wurde (der Schwangerschaft wegen). Auf dem Land spricht so gut wie kein Mensch Englisch und unser Portugiesisch hört vor dem Wort »Rohmilchkäse« leider auch schon auf. Da die ″rustikale″ Hartwurst mich ebenfalls nicht begeistert, nehme ich lieber mit trockenem Brot und Dosenfisch vorlieb und schiele neidisch auf meinen Freund, der sich den sicherlich vorzüglichen Käse in großen Mengen einverleibt.
Hinter Capelas fängt es wieder an zu regnen. Wir stellen uns in einem Bushäuschen unter und warten bis der Schauer nachlässt. Darauf muss man auf den Azoren meist nicht lange warten. Irgendwann zeigt sich wieder die Sonne und es kann weiter gehen. Nach einem Galao in einem klitzekleinen Dorf beschließen wir eine Abkürzung zu den Kraterseen Lagoa Verde und Lagoa Azul zu nehmen. Über einen Berg müssen wir so oder so. Warum dann nicht die gerade Strecke? Hinter der Ortschaft Santa Barbara gibt es laut Reiseführer einen geteerten Forstweg, der direkt hinauf zu den Kraterwänden der Seen führt. Nach mehrmaligem Fragen finden wir diesen und ochsen unsere Räder den Berg hinauf. Komischerweise ist diese kleine Forststraße fast frei von Schlaglöchern. Mittlerweile ist es wieder brütend heiß geworden und ich schiebe fast die gesamte Strecke mit kleinen regelmäßigen Pausen. Die Schwangerschaft entzieht mir enorm viel Energie. Das muss ich erst noch lernen, meine Kräfte neu einzuteilen.
Die Seen Lagoa Verde und Lagoa Azul – das Top Highlight der Azoren
Endlich oben angekommen bin ich zum ersten Mal seit der Ankunft auf den Azoren wirklich entzückt. Der Ausblick von hier oben ist wirklich atemberaubend. Vor, beziehungsweise unter, uns liegen, eingebettet in karstige, wild bewachsene Kraterwände, die in allen Türkisschattierungen glitzernden Kraterseen Lagoa Verde und Lagoa Azul. Lange halten wir uns an dem Aussichtspunkt auf, bevor wir auf der schmalen Schotterstraße, welche die Kraterwände umrundet, zur kleinen Ortschaft Sete Cidades weiterfahren.
Von Sete Cidades sollte man als Besucher nicht zu viel erwarten. Auch wenn sich dieser kleine Ort am absoluten Top Highlight der Azoren befindet, so ist man auf Touristen trotzdem überhaupt nicht eingestellt. Es gibt nur einen Bäcker (der kaum zu finden ist) und einen kleinen Krämerladen. Zusätzlich offeriert das Dorf noch mit einer schmuddeligen Kneipe und einem kleinen Restaurant. Offizielle Zimmer für Touristen gibt es hier überhaupt nicht (Stand 2001). Es werden allerdings unter der Hand ein paar Zimmer vermietet. Am besten fragt man in der Dorfkneipe danach. Am Rande des Dorfes befindet sich ein offizieller Campingplatz, der diesen Namen leider wieder nicht verdient. Eigentlich ist es die Weide eines Bauern, der Zelte auf seinem Grundstück gestattet. So nächtigt man zwischen Kuh und Pferd und betet inständig, in der Dunkelheit nicht in einen Fladen hineinzutreten. Trinkwasser gibt es auf dem Campingplatz ebenfalls nicht. Zum Baden kann man in die Seen hüpfen. Offiziell ist das Zelten auf den schönen Picknickplätzen direkt an den Kraterseen verboten. Daran hält sich aber kaum jemand, und es scheint auch niemanden zu stören. Wir jedoch sind brav und gläubig genug es mit den Fladen der Herdentiere aufzunehmen.
Wanderung rund um Sete Cidades
Nach einer regnerischen Nacht strahlt uns am nächsten Morgen die Sonne entgegen. Neben uns hat sich noch ein Pärchen auf dem „Campingplatz“ niedergelassen. Die beiden kommen zufällig aus Deutschland, sind schon einen Tag hier und zeigen uns den Weg zum Bäcker, der herrlich knuspriges Brot backt. Es ist schön einmal Reisenden zu begegnen, mit denen man sich austauschen kann. So tratschen wir den ganzen Morgen und trinken einen Tee nach dem anderen. Bevor wir zu unserer heutigen Wanderung aufbrechen, verabreden wir uns mit den beiden zum Abendessen. Unsere Wanderung führt uns zum Aussichtspunkt Vista do Rei. Von dort hat man den schönsten Blick auf das Tal und die Kraterseen. Auf dem Kraterrand entlang wandern wir den Rundweg zurück nach Sete Cidades.