Am nächsten Tag schippern wir mit einem sehr kleinen Boot zur gerade einmal neun Kilometer entfernten Nachbarinsel Pico. Eine halbe Stunde dauert die Überfahrt. Um die Mittagszeit legt der Kutter im Hafen von Madalena an. Die Kleinstadt an der Westküste Picos ist der Hauptort der Insel. Dennoch macht sie einen eher verschlafenen Eindruck. Auch ist sie, wie viele Dörfer auf den Azoren, nicht gerade ansehnlich. Recht lieblos ist der kleine Dorfplatz hergerichtet.
Im Schatten der Bäume machen wir nach einem Einkauf erst mal Mittagspause. Wer auf Pico ankommt, sollte auf jeden Fall hier noch einmal seine Vorräte auffüllen, bevor er loszieht. In den anderen Dörfern der Insel sind die Einkaufsmöglichkeiten sehr eingeschränkt. Die Ortschaft Madalena ist der einzige Ort mit einem etwas größeren Supermarkt.
Gegen Nachmittag beginnen wir mit unserer Inselumrundung Richtung Nordküste. Heute haben wir uns nur eine kurze Etappe von zwanzig Kilometern vorgenommen. Wir wollen zum einzigen Campingplatz der Insel nach Santo Antonio fahren.
Die Insel Pico und der höchste Berg Portugals
Pico ist die dritte, und wirklich bisher schönste, Insel der Azoren, die wir besuchen. Rund um den majestätischen Berg Pico, der sein Gesicht meist verhüllt, erstreckt sich noch ursprüngliches Waldgebiet. Richtiger Urwald, wie er vielleicht schon vor der Besiedlung ausgesehen haben mag. Ich bin begeistert. Endlich zeigt sich die Natur der Azoren so, wie ich sie mir vorgestellt habe. Was mich zusätzlich begeistert ist die frisch geteerte Straße, die sich leicht wellig entlang der Küste schlängelt. Die Strecke bis Santo Antonio ist wirklich sehenswert und fahrbar zugleich. Es geht durch Wälder und kleine Siedlungen, vorbei an Bananenplantagen und vereinzelt Weideflächen. Ich genieße diese Fahrt in vollen Zügen. Viel zu schnell haben wir unser heutiges Ziel erreicht. Laut unseres Reiseführers befindet sich im Tal zwischen Santo Antonio und Cais do Pico der einzige offizielle Campingplatz der Insel. Leicht zu finden ist er dennoch nicht, da es keinerlei Beschilderung gibt. Nach mehrmaligem Fragen finden wir ihn schließlich in einer Senke versteckt und…..verschlossen. In einem Café im Dorf erfahren wir, dass der Campingplatz vor einigen Tagen seine Pforten geschlossen hat. So müssen wir uns leider wieder ein Zimmer suchen oder wild campen.
Am nächsten Morgen scheint die Sonne vom fast wolkenlosen Himmel und es ist herrlich warm. Ein idealer Tag also, um das Radeln richtig zu genießen.
Im Osten der Insel Pico
Bis zur Spitze der Ostküste sind es zirka dreißig Kilometer, die wir heute auf jeden Fall zurücklegen wollen. Die Straße steigt ab Cais do Pico wieder steiler an. Hinter Sao Roque de Pico gibt es einen längeren Anstieg. Und wieder spüre ich die fehlende Kondition. Mit fünfzehn Kilogramm Gepäck auf dem Fahrrad und dem kleinen Racker im Bauch komme ich sehr schnell aus der Puste. Fast alle Steigungen kann ich nur schiebend bewältigen. Oft ist mein Freund so lieb und spurtet den Berg zu Fuß hinunter, um mir das Rad aus den Händen zu reißen. Ich frage mich dabei nur, ob er sich nun um das Kind sorgt oder um mich. Da ich die Frage allerdings nicht ausspreche, bleibt sie unbeantwortet. Der Asphalt wird leider wieder schlechter. Langsam hoppeln wir über den durchlöcherten Straßenbelag. Das Wetter allerdings spielt heute super mit. Bei herrlichstem Sonnenschein können wir über die Nordküste sehen und in der Ferne die Insel Sao Jorge bewundern. Nach Sao Roque de Pico gibt es bis zum westlichsten Punkt der Insel keine Ortschaft mehr, die direkt an der Küstenstraße EN 1 liegt. Einige kleine Dörfer liegen direkt in einer Bucht am Meer. Die Küstenstraße jedoch führt etwa 300-400 Meter über dem Meer durch die Berghänge des Hochlandes.
Die Straße ist auf dem letzten Abschnitt der Nordwestküste wieder frisch geteert, sodass wir in die Ortschaft Piedade hineinrauschen. Es ist nun später Nachmittag und wir machen uns auf die mühsame Suche nach einem Schlafplatz außerhalb des Dorfes. Da es in der Nähe der Siedlungen fast immer nur Weideflächen gibt, ist dies ein schwieriges Unterfangen. Irgendwann finden wir einen offenen Weideplatz ohne Tiere im Schutze eines Hügels und schlagen endlich unser Zelt auf. Ein starker Wind kommt auf und drohende Wolkenberge am Himmel verheißen nichts Gutes.
Letzte Nacht hat es furchtbar geregnet und gestürmt. Leider war unser Zeltplatz weniger windgeschützt als gedacht. Des Öfteren bin ich durch den ums Zelt peitschenden Wind aufgewacht. Am Morgen jedoch verziehen sich die Wolken und die Sonne kommt hervor. Heute haben wir kein bestimmtes Ziel. Wollen einfach sehen, wie weit wir kommen.
Lajes do Pico ist für uns ein Segen
Die Südostküste ist recht spärlich besiedelt und einen Campingplatz soll es hier sowieso nicht mehr geben. So ziehen wir ohne große Erwartungen gelassen weiter. Hier an der dünn besiedelten Ostwestküste ist die Straße wieder furchtbar schlecht. Gemächlich reiten wir durch die Prärie. Die Küstenstraße schlängelt sich ebenso gemächlich bergauf und bergab. Nach der verschlafenen Ortschaft Ribeiras kommt ein längerer Anstieg. Es ist Mittagszeit und die Sonne brennt heute unerträglich heiß vom wolkenlosen Himmel. Es ist mit Abstand der heißeste Tag, den ich bisher auf den Azoren erlebt habe. Wir suchen Schutz an einer Milchstation im Schatten eines Vordaches und nehmen einen kleinen Imbiss ein. Wir befinden uns kurz vor Lajes do Pico, einem etwas größeren Dorf an der Südküste. Über einen Bergrücken, etwas abseits der Küste, fährt man hoch über der Meeresbucht geradezu nach Lajes do Pico hinein. Von oben hat man einen wunderschönen Ausblick auf die gesamte Südwestküste Picos. Beim Blick über die Küste und die Ortschaft fallen mir plötzlich Zelte ins Auge. Träume ich, oder stehen dort am Ortsrand wirklich Zelte. Das sollten wir uns doch mal genauer ansehen! Immer die Zelte im Blick, fahren wir in die Ortschaft hinein. Bei der Größe des Dorfes ist der Campingplatz leicht zu finden. Ja, es ist wirklich ein schnuckeliger kleiner Zeltplatz, wunderschön gelegen und – das allerbeste – er hat eine Toilette und heiße Duschen. Dabei kostet die Übernachtung hier keinen müden Cent. Eigentlich müssen wir da nicht lange überlegen. Wir bleiben ein paar Tage hier.
Am nächsten Tag ist das Wetter immer noch super schön und wir liegen fast den ganzen Tag in der Sonne. Daneben erkunden wir das Dorf und die Umgebung. Lajes do Pico ist das Eldorado der whale-watcher. Kein Ort der Insel ist so mit dem ehemaligen Walfang verbunden wie Lajes. Und heute zählt das Gebiet um die Azoren zu den besten whale-watching Revieren der Welt. Der bekannteste whale-watching-Anbieter der Azoren ist »Espaco Talassa« in Lajes do Pico. Man sagt ihm nach, dass man auf jeder seiner Touren einen Wal zu sehen bekommt. Bestätigen können wir das leider nicht. Wir werfen lediglich einen Blick in seinen Laden, der gleich neben dem Walfangmuseum am Hafen von Lajes liegt. Das ist eigentlich die einzige Touristenattraktion, die Lajes zu bieten hat. Am Nachmittag gehen wir noch im Meer baden. Auch hier gibt es ein sogenanntes Naturschwimmbecken, wie fast überall auf den Azoren. Sie ersetzen den Menschen hier die fehlenden Strände als Bademöglichkeit.
Am nächsten Morgen wache ich mit einem grippalen Infekt auf. Was sich gestern Abend drohend angekündigt hat, wird heute zur traurigen Gewissheit. Nur gut, dass wir noch einen Ruhetag eingeplant haben. Doch spätestens Übermorgen müssen wir in Sao Roque do Pico sein, da von dort unsere Fähre zurück nach Sao Miguel geht. Heute allerdings verbringe ich den gesamten Tag in der Sonne liegend, in der Hoffnung, dass des morgen wieder besser ist. Ohne Schwangerschaft hätte ich mir jetzt einige Medikamente einverleibt, doch in meinem Zustand muss mein Immunsystem alleine damit zurechtkommen. In der Hoffnung, dass ich die Krankheit in der Nacht herausschwitze, krieche ich am Abend in meinen kuscheligen Schlafsack.