Am Morgen bedecken dicke, weiße Wolken den Himmel. Der Wind bläst heute ein wenig kräftiger als gestern und schiebt immer neue Wolkenberge vor sich her. Nach einem ausgedehnten Frühstück ziehen wir los. Die Bergspitze haben wir nach zwei Kilometern erreicht. Oben angekommen hat man einen herrlichen Blick über den Südostteil der Insel. Dennoch bin ich ein wenig enttäuscht, da ich weit und breit nur Weiden sehe. Von hier aus führt die in Serpentinen angelegte Straße steil bergab. Wir fahren am Kratersee Furnas vorbei, der von steilen, mit Wald bedeckten, Felswänden umgeben ist. Weitab vom See liegt ein wilder Campingplatz direkt im Wald. Kein Zelt steht weit und breit. Wäre da nicht ein verrottetes Schild gestanden, wir hätten den ″Zeltplatz“ glatt übersehen. Wenn alle als offiziell geltende Campingplätze auf den Azoren so aussehen wie dieser, nehmen wir doch gerne mit der freien Natur vorlieb. Nach weiteren drei Kilometern bergab erreichen wir die Kur- und Touristenortschaft Furnas. Der kleine, schmucke Ort liegt tief im Tal verborgen, eingebettet in hohe, dichtbewachsene Berghänge. Der Anblick des pittoresken kleinen Dorfes, in dieser märchenhaften Umgebung ist sehr schön. Furnas befindet sich mitten in einem hochthermalen Gebiet. Schon von weitem kann man den Dampf der heißen Quellen sehen, die wie weiße Rauchsäulen unaufhörlich in den Himmel steigen. Im Dorf angekommen suchen wir erst einmal ein Café auf, um einen weiteren Galao zu trinken, was hier auf den Azoren eine Art Nationalgetränk ist. Es fängt plötzlich fürchterlich an zu regnen, was uns den Entschluss ein Zimmer zu nehmen enorm erleichtert.
Der Terra Nostra Park in Furnas
Am nächsten Morgen erkunden wir das Dorf und seine Umgebung. Der Terra Nostra Park in Furnas ist meiner Meinung nach der schönste Naturpark der Azoren. Dort findet man eine Fülle an Pflanzen aus aller Welt, aber auch einheimische und endemische Arten. Auf den Azoren wächst eigentlich alles, würde man es nur wachsen lassen. Die Natur außerhalb der Naturparks und einigen wenigen Schutzzonen wird jedoch rigoros gerodet und als Weideland genutzt.
Das Highlight des Parks ist ein eisenhaltiges Schwefelbecken, das man inmitten des Parks zum Baden angelegt hat. Anfangs ist es etwas ungewohnt in die braune und stinkende Brühe zu steigen, aber es ist wunderbar warm und angenehm. Nach einem ausgiebigen Bad und Erkundung des Parks sehen wir uns noch die heißen Quellen von Furnas an. Diese liegen am Ortsausgang, und man kann sie schon von weitem riechen.
Am frühen Abend gehen wir zu Bett, da morgen eine anstrengende Etappe auf uns wartet. Wir müssen irgendwie wieder aus dem Tal herauskommen.
Die Sonne scheint vom wolkenlosen Himmel, als ich am nächsten Morgen aus dem Bett krieche. Schnell packen wir unsere Sachen zusammen, weiß man hier doch nie, wie schnell sich das ändern kann. In einem Krämerladen decken wir uns noch reichlich mit Wasser ein und ziehen dann Richtung Nordküste los, die hinter der, sich vor uns auftürmenden, Bergfront liegt. Mir wird ganz schlecht, wenn ich nur an den Anstieg denke, der uns bevor steht. Gleich am nördlichen Ortsausgang steigt die Straße an. Ich habe gerade beschlossen ein wenig zu schieben, als ein Pickup anhält und der Fahrer uns fragt, ob wir denn mitfahren möchten. Dankend nehmen wir an, mein Freund lädt unsere Fahrräder geschwind auf die Ladefläche und wir steigen glücklich ein. Der nette Mann spricht sogar ein paar Takte Englisch, fragt uns, ob wir zu den Teeplantagen wollen, was wir bejaen. So chauffiert er uns über den Bergsattel des Pico das Vacas bis zur Teefabrik von Sao Bras.
Die Teeplantagen von Sao Bras – das einzige Teeanbaugebiet Europas
Die Teeplantagen von Sao Bras sind das einzige Teeanbaugebiet in ganz Europa. Das besondere Mikroklima auf den Azoren ermöglicht den Anbau der Teepflanzen. Früher gab es auf Sao Miguel mehr als sechzig Teefabriken, doch mit den Weltkriegen konnte der hier hochwertig veredelte Tee nicht mehr ins Ausland verkauft werden, und so mussten die Fabriken nach und nach schließen. Heute produziert man fast ausschließlich für den Eigenbedarf und – immer mehr – für Touristen. Ein kleiner Teil der Ernte wird sogar wieder ins Ausland verkauft (auch nach Deutschland). Es wird auf den Azoren grüner und schwarzer Tee veredelt. Die Pflanzen dafür kommen aus China und Indien. Als die Insulaner vor über hundert Jahren mit dem Anbau von Teepflanzen begannen, mussten sie viele Niederlagen einstecken. Ihr Wissen über den Teeanbau und die Weiterverarbeitung des Rohstoffs war einfach zu gering. Erst ein Mönch aus China vermittelte den Einheimischen die Kunst, den Pflanzen diese Köstlichkeit zu entlocken. Seit dieser Zeit ist der Teeanbau auf Sao Miguel nicht mehr wegzudenken, und die Einheimischen sind sehr stolz darauf, die einzigen Teeplantagenbetreiber Europas zu sein. Deshalb wird wieder verstärkt auf den Teeanbau gesetzt, nicht zuletzt als Werbung für ihre Inseln.
In der alten Teefabrik werden täglich, außer am Wochenende, Führungen angeboten, bei denen man viel über die Verarbeitung von Tee erfahren kann. Nach der Führung gibt es selbstverständlich eine Kostprobe, die wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Einen Kilometer bergauf liegen eine neue, im Jahr 2001 fertig gestellte, Teefabrik und weitere Plantagen.
Die Ortschaft Ribeira Grande und die Geschichte der Mauren
Bis Ribeira Grande sind es nur noch wenige Kilometer, die wir auf einer sehr schlecht geteerten Küstenstraße zurücklegen müssen. Zwar geht es nur mäßig auf und ab, doch der Straßenbelag ist teilweise so uneben, dass ich nur stehend fahren möchte und sogar längere Passagen mein Rad schiebe. Es ist mir, trotz meiner Reise- und Abenteuerlust, bewusst, welche Verantwortung ich jetzt, da ich nicht mehr alleine unterwegs bin, trage. So versuche ich immer, starke Erschütterungen zu vermeiden und fahre sehr langsam und gemächlich, weshalb wir leider auch kaum vorankommen, was uns aber überhaupt nicht stört. Die Zeiten des sportlichen Ehrgeizes sind vorerst einmal vorbei.
Von einem Aussichtspunkt kurz vor Ribeira Grande hat man einen wunderschönen Blick auf die Nordküste Sao Miguels. Dennoch gleicht dieser Küstenabschnitt der Südküste enorm. Überall Weiden, Weiden, und nochmals Weiden. Wohin das Auge reicht.
Ribeira Grande ist mit ca. 8.000 Einwohnern das Zentrum der Nordküste. Die Stadt ist ganz nett, in ihrer Schönheit aber bei weitem nicht mit Furnas zu vergleichen. Verschiedene Baustile kann man hier bewundern, und an fast jedem noch so alten, heruntergekommenen Gebäude, die sogenannten »Azulejos«. Das sind bunte Bilder auf Kacheln gemalt, die meist christliche Darstellungen zeigen. Manchmal findet man sogar ganze Häuserfassaden aus bemalten Kacheln. Diese Kunst, die Häuser zu verschönern, brachten die Mauren erst nach Spanien und dann über Portugal auf die Azoren. Auf dem Friedhof vor Ribeira Grande gibt es viele schöne Azulejos zu sehen.
Nach der Mittagspause fahren wir noch einige Kilometer an der Nordküste entlang. Nahe der Stadt Ribeira Grande sind die Straßenverhältnisse ein wenig besser. Wir treffen auf die neu gebaute Schnellstraße aus Ponta Delgada kommend und freuen uns, ein paar Meter auf einer richtigen Straße fahren zu dürfen. Doch das Glück währt nicht lange und wieder geht es im Galopp über löchrigen Asphalt. Irgendwann benötige ich eine Pause vom Fahren bzw. Stehen und wir biegen zur Küste ab. Dort finden wir den wohl schönsten Strand der Azoren. Unglaublich weit und einladend einsam.
Nach einem ausgedehnten Sonnenbad fahren wir noch vorbei an den Ortschaften Calhetas und Fenais da Luz. Diese kleinen Dörfer wirken nun wirklich ein wenig ärmlich. Am Ortsausgang von Fenais da Luz suchen wir uns einen Schlafplatz für die Nacht und werden an einer schroffen Landzunge fündig.