Mit Kindern die Welt zu entdecken ist für viele „normale“ Menschen schon Abenteuer genug. Weiht man Freunde und Familie in besondere Reisevorhaben ein, kommt meist von allen Seiten im günstigsten Fall ungläubiges Staunen, meistens jedoch Unverständnis und mahnende Worte, dass man als Eltern doch eine besondere Verantwortung für das Wohl und Glück der Kinder trägt, welches der Bedenkenträger im Falle einer großen Reise in Gefahr sieht. So oder so ähnlich sind die gewöhnlichen Reaktionen von Menschen, die einem Nahe stehen, wenn man sich auf eine Langzeitreise begibt.
Reist man dann auch noch in Länder, die in Mitteleuropa als Schurkenstaaten gelten oder die fern unseres Demokratieverständnisses leben, wird aus Unverständnis meist blankes Entsetzen. „Wie könnt ihr nur?“ oder „Das ist doch vollkommen verantwortungslos!“ oder „Wenn euch und den Kindern etwas zustößt?“ sind Äußerungen, die in diesem Fall vielleicht sogar verständlich und nachvollziehbar sind.
Wir sprechen heute mit einer ganz besonderen Familie, die allen Bedenken und Bedenkenträgern zum Trotz aufgebrochen ist, um Länder zu entdecken, die viele Europäer – darunter auch ich – aktuell lieber meiden. Ich freue mich, heute mit Kathleen von vierreisen.de sprechen zu dürfen.
Liebe Kathleen, als ich zum ersten Mal auf eurer Seite vierreisen.de vorbeigeschaut habe, habe ich nicht schlecht gestaunt. Ganze zwei Langzeitreisen habt ihr in den letzten beiden Jahren unternommen. Kannst du unseren Lesern ganz grob eure beiden Reiserouten einmal vorstellen?
Hallo liebe Christine, ich freue mich ein wenig über unsere Reise berichten zu können und vielleicht sogar andere Menschen zu inspirieren einmal über den Tellerrand zu schauen.
Wir sind im Mai 2016 über Polen und die baltischen Staaten nach Russland gestartet. Dann haben wir den Kaukasus überquert und sind über Georgien, Armenien, den Iran und die Emirate in den Oman gefahren. Auf der arabischen Halbinsel haben wir überwintert und sind von dort aus nochmals über den Iran, die Türkei, Bulgarien und Rumänien gereist. Nachdem wir dann eine Zeit lang in Deutschland waren, ging es dann für uns quer durch Europa zum Überwintern nach Marokko und dann wieder über Portugal gen Deutschland. Der Rückweg ging dann ziemlich schnell, weil neue Projekte anstanden.
Euer Gefährt, mit dem ihr diese Reisen unternommen habt, nennt ihr liebevoll Hummel. Auf eurer Seite stellt ihr diese Hummel, ein umgebauter Deutz LKW, mit ausgezeichneten Bildern vor. Ganz ehrlich, ich bin begeistert von diesem Umbau. Habt ihr das alles alleine gemacht, oder hattet ihr professionelle Hilfe mit technischem Verständnis? Oder seid ihr, oder einer von euch, technikaffin?
Ursprünglich hatten wir die Idee uns eine alte Feuerwehr zu kaufen und diese komplett allein umzubauen. Wir lieben es, unsere Sachen individuell zu gestalten. Allerdings haben wir schon in der Planungsphase gemerkt, dass wir einen Selbstausbau von Null an nicht im Rahmen unser Zeitplanung hinbekommen hätten. Also haben wir Ausschau nach einem Fahrzeug gehalten und dann unseren Magirus gefunden. Allerdings haben wir letztendlich doch jede Menge geändert um eine expeditionstaugliche Hummel aus ihm zu machen.Wir haben große Tanks installiert, sämtliche Stauboxen geplant, die Kochstelle entworfen und gebaut und die Wasservorräte um ein Vielfaches aufgestockt. Das Fahrerhaus haben wir komplett entkernt, gedämmt und ausgebaut. Unser Bad haben wir reisetauglich gemacht, Regale und Schränke gebaut und die gesamte Elektrik und Solarversorgung überholt und neu arrangiert.
Weißt Du eigentlich, warum unser Auto „Hummel“ heißt? Unser Magirus war immerhin schon 34 Jahre als wir ihn gekauft haben. Viele haben gesagt, dass wir es damit nicht einmal schaffen Deutschland zu verlassen. Von der Hummel sagt man auch, dass sie physikalisch gesehen gar nicht fliegen kann und sie kann es trotzdem. Da lag der Name schnell auf der Hand.
Wirklich schöne Geschichte zum Namen eures Gefährts, den ihr besser hättet nicht wählen können. Zurück zu euren Reisen. Wie alt waren deine Kinder zum Startpunkt der ersten Reise und wie kam eure – gewissermaßen ungewöhnlich – Reiseroute zustande. Habt ihr gemeinsam entschieden wo es hingehen sollte?
Als wir gestartet sind war unser Sohn 3 Jahre und unsere Tochter 1 Jahr. Da wir mit unserem Sohn, da war er noch nicht einmal 1 Jahr alt, drei Monate in Australien unterwegs waren, hatten wir nie einen Zweifel, dass es funktionieren wird.
Unsere Reiseziele wollten wir mit dem Fahrzeug erreichen können und es gab von Vornherein ein paar Länder, in die wir zwingend wollten. Russland, Iran und Oman. Unsere Kinder waren noch etwas zu klein, um die Dimensionen erfassen zu können. Im Grunde waren das Wasser und Spielplätze wichtig. Ursprünglich wollten wir bis Singapur und dann weitersehen. Aber zwischenzeitlich haben wir die Route, auch aufgrund von geänderten Rahmenbedingungen für Reisende und persönlichen Erfahrungen geändert. Lange Planungen zu machen, erweist sich zumeist als falsch. 😊
Wie reagierten eure Freunde und Familie auf euer Vorhaben, und vor allem eure gewählte Reiseroute? Und hattet ihr selbst wirklich keinerlei Bedenken vor der Reise bezüglich mancher Länder, wie z.B. der Iran, oder Armenien oder Georgien?
Es gab durchaus Familienmitglieder und Freunde die uns nicht geglaubt haben, dass wir den Besuch des Iran oder auch Russlands ernsthaft planen. Armenien und Georgien hat niemand in Frage gestellt. Wir selbst hatten nie irgendwelche Bedenken bzgl. unserer Reiseroute. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass jegliche Bedenken auch absolut unsinnig gewesen wären.
Wie habt ihr euch vor der Reise über die Länder informiert, zum einen über die allgemeine Sicherheitslage, aber vor allem auch über die Verkehrsverhältnisse in den einzelnen Regionen, da dies sicherlich auch ein wichtiger Punkt bei einer solchen Reise ist? Oder habt ihr alles auf euch zukommen lassen?
Anfänglich habe ich bei Auswärtigen Amt nach Informationen gesucht, hauptsächlich wegen der Visa und Einreisebestimmungen. Die dort angegebenen Reisehinweise fanden wir allerdings nicht brauchbar. In Reiseblogs haben wir die für uns wirklich brauchbaren Informationen gelesen. Nämlich Erfahrungen von Menschen, die vor Ort waren und sich nicht haben abschrecken lassen. Grundsätzlich recherchieren wir unsere Informationen nicht aus den Mainstream-Medien, sondern aus alternativen Quellen bzw. bilden wir uns unsere eigenen Wahrheiten. Damit sind wir immer gut gefahren.
Verkehrsverhältnisse haben wir nur bei der Fahrzeugauswahl berücksichtigt. Eine Grundbedingung für unser Reisemobil war Geländegängigkeit und Allrad. Das hat die Hummel. Damit und mit einer guten Navigation kommt man fast überall hin und an. Klar haben wir die Hummel auch mal ausbuddeln müssen, man muss ja auch nicht immer direkt bis ans Meer fahren 😊, meistens haben wir jedoch anderen geholfen.
Wie bewertest du die Informationsseite des Auswärtigen Amtes bezüglich der von euch bereisten Länder? Stimmen die Einschätzungen der Regierung, oder ist vor Ort wirklich alles anders als im Reise-Informationsportal beschrieben?
Dazu müsste ich sie jetzt noch einmal im Detail lesen, um zu beurteilen, ob vor Ort wirklich alles anders ist. Ich kann nur sagen, dass wir uns in keinem der besuchten Länder unsicher gefühlt haben. Wir haben, insbesondere im Iran viel Kontakt mit Armee und Polizei gehabt, aber immer positiv-besorgter Natur. Es wäre einfach politisch nicht dienlich, wenn einem Touristen oder Reisendem dort etwas passieren würde. Aber wir haben auch keine Anhaltspunkte gefunden, dass man irgendwie „in Gefahr“ ist, in keinem der 22 Länder.
Welchen Einfluss haben die hiesigen Medien auf den Reisenden, der – sagen wir mal – ungewöhnliche Länder besuchen möchte? Sind bestimmte Ängste möglicherweise begründet, oder ist das was be- und geschrieben wird alles ausgemachter Blödsinn, oder einfach nur übertriebene Panikmache.
Wir kennen viele Reiseblogs über die von uns besuchten Länder und haben andere Reisende und Touristen getroffen. Individuell reisende Touristen sind in Russland und im Iran allerdings vorwiegend in den bekannten größeren Städten. Grundsätzlich zeigt die Reiselust der Menschen, dass sie bereit sind, eigene Erfahrungen zu machen und nicht mehr blind glauben, was Ihnen vorgesetzt wird.
Ins Land zu den Orten jenseits der Touristenstrecken zu fahren ist noch einmal ein Unterschied. Erst dadurch gewinnt man einen wirklichen Einblick in das Land. Uns war es immer wichtig, mit Einheimischen in Kontakt zu kommen und uns ein Bild zu machen. Egal in welchem Land, haben die Menschen zu uns immer wieder gesagt, dass wir alle Freunde sind und alle Frieden wollen und dass die Politik das verkennt. Allerdings haben sie uns auch jeweils vor dem nächstfolgenden Land gewarnt. Die Medien hätten ihnen gesagt, es sei gefährlich, aber vor Ort seien sie noch nicht gewesen. Das zeigt gut, wie der Medieneinfluss funktioniert.
Um es abzuschließen, fahrt in die Länder die Euch interessieren, macht Euch ein eigenes Bild und glaubt nicht alles ohne es zu prüfen.
Welche Erfahrungen konntet ihr dann persönlich unterwegs sammeln in den verschiedenen Ländern? Was zeichnet z.B. den Nahen Osten aus (Iran, Oman, Emirate) und wie unterscheidet sich diese Region vom Ostblock (Russland, Rumänien, Georgien usw.)? Oder gibt es gar große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern in den beiden Regionen?
Natürlich gibt es große kulturelle Unterscheide zwischen den Ländern. Allein schon die Sprachfamilien oder Kleidungsgepflogenheiten sind offensichtlich anders, manchmal herausfordernd aber in jedem Fall spannend.
Ich denke aber, dass es viel wichtiger ist, auf die Gemeinsamkeiten zu schauen. Überall leben Menschen wie Du und ich und alle wollen ein gutes und zufriedenes Leben in Frieden führen.
Das war jetzt eine kurze Antwort aber ich denke, sie trifft die Essenz. 😉
Wo hat es euch persönlich am besten gefallen und warum?
Ich glaube es gibt nicht DAS Land was uns am besten gefallen hat. Wir haben noch immer regen Austausch zu Menschen, die wir in den einzelnen Ländern kennengelernt haben. Das ist auch der bleibende Eindruck und einer der Schätze der Reise. Grundsätzlich hatte jedes Land seinen besonderen Reiz. Besonders gefallen haben uns der Oman, Russland, Iran und Rumänen.
Wir haben wunderbare Erinnerungen und dürften viele Erfahrungen machen, die für uns persönlich sehr wertvoll sind. Wir wissen viel besser, was wir im Leben möchten.
Bei eurer zweiten großen Reise ging es nach Marokko – ebenfalls ein orientalisches Land. Du sagst, dass dieses Land, ein beliebtes Reiseziel der Europäer (ich war auch schon dort), kulturell viel anstrengender und schwieriger ist als die muslimischen Länder des Nahen Ostens, die ihr besucht habt. Was macht den Unterschied aus?
Wir kennen viele begeisterte Marokko-Touristen und Reisende, aber auch einige Menschen zu deren Reise-Favoriten Marokko nicht zählt. Die Landschaft ist wunderschön – keine Frage. Wir können auch auf herzliche und uneingeschränkt positive Begegnungen zurückblicken, aber leider haben wir auch die Erfahrung von vorgetäuschter Freundlichkeit machen müssen. Wenn man für eine Wegbeschreibung zahlen soll, entspricht dies nicht unserem Empfinden von Hilfsbereitschaft. Für fast jede kleine Leistung wird eine Gegenleistung in monetärer Form erwartet. Wir hatten auch den Fall, wo wir gezwungen wurden einen Campingplatz aufzusuchen und nicht frei-stehen durften obwohl es keine offiziellen Verbote gab und der Landbesitzer uns erlaubt hatte dort zu bleiben. Zu Betteln ist eine sehr normale Handlung die stellenweise exzessiv betrieben wird. Natürlich, die Menschen sind nicht reich, aber es hilft ihnen nicht weiter, wenn die Touristen sie mit Ladungen von Kugelschreibern beschenken. Es bringt den Kindern etwas Falsches bei und verbessert ihre Lebenssituation nicht.
Unser Marokko-Fazit lautet: Nicht unser Land, es geht auch anders.
Jetzt muss ich leider zur letzten Frage kommen, obwohl ich gefühlt gerade erst angefangen habe und noch gerne viele, viele weitere Fragen an dich stellen würde.
Ihr seid gerade auf dem Weg zurück nach Deutschland, weil dein Sohn gerne zur Schule gehen möchte (Sehr ungewöhnlich, wenn ich da so an meine Kinder denke 😉). Ihr würdet jedoch lieber unabhängig bleiben. Wie sieht euer Kompromiss bezüglich Unschooling und Regelschule aus, und könnt ihr euch vorstellen irgendwann dann doch wieder loszuziehen, um die Welt mit euren Kindern zu entdecken?
Uns war es immer besonders wichtig auf die Bedürfnisse der Kinder zu hören. Im Laufe der Reise haben wir viel Unschooler und Homeschooler getroffen. Wir sind überzeugt vom freien Lernen. Nach der Zeit in Deutschland äußerte unser Sohn den Wunsch zur Schule gehen zu wollen. Die Alternative wären Elefanten in Südafrika gewesen. Sein Votum fiel klar für die Schule aus. Er wollte allerdings auch eine Schule besuchen, in der er entscheiden kann. Die Wahl fiel letztendlich auf eine freie demokratische Schule.
Unsere Unabhängigkeit wollen wir uns weitestgehend bewahren. Während der Reise haben wir begonnen online zu arbeiten. Dies werden wir auch fortführen. Ich arbeite als virtuelle Assistenz in den Bereichen Personalmanagement und Arbeitnehmerservice, Text, Büroservice sowie Standards und Prozessoptimierung. René, mein Mann arbeitet als energetischer Heiler und hilft Menschen in herausfordernden Situationen. Zudem plant er elektrische und solarbetriebene Anlagen.
Nochmal losziehen? Klar können wir uns das vorstellen. Es gibt da noch einige spannende Ziele und Routen für uns. Auch die Kinder haben noch Pläne was das angeht. Allerdings sind wir aktuell auch gerade angekommen und haben einen tollen Ort gefunden, an welchem wir uns erst einmal zu Hause angekommen sind und gefühlt so leben können, wie wir wollen. Insofern gehen wir einen Schritt nach dem anderen und schauen, was die Zukunft bringt.
Vielen, lieben Dank, Kathleen für dieses spannende, und selbst für mich abenteuerliche, Reiseinterview. Ich wünsche euch noch viele weitere, abenteuerliche Reisen und dass ihr euch jederzeit die Balance zwischen Arbeiten, Schule, Leben und Reisen erhalten könnt.
Familien-Steckbrief:
Wir, das sind Kathleen, René, Räuber und Liese. Gemeinsam sind wir auf Reisen und wollen unser Abenteuer „freies Leben“ leben.
Unsere erste große Reise sollte uns ursprünglich mit dem Auto nach Südostasien führen. Aber wenn der Weg zum Ziel wird, kann sich das auch schnell ändern. So haben wir diesen Plan geändert und wollen diesen Teil der Erde per Rucksack und mit dem Flugzeug besuchen. Auf dieser ersten Langzeitreise waren wir neben dem Baltikum in Russland unterwegs, haben den Iran und die arabische Halbinsel bereist. Der südlichste Punkt war die jemenitsche Grenze. Auf der Rückreise haben einen Teil des Balkans besucht.
Nach einer kurzen Pause in Deutschland sind wir zu unsere zweiten großen Reise losgezogen, und haben den Winter in Marokko verbracht.
Mit der Seite www.vierreisen.de möchten wir abenteuerlustige Familien teilhaben lassen an unseren Erlebnissen und Erfahrungen, und ihnen einen kleinen Einblick in unsere Gedankenwelt geben. Alle unsere Reiseberichte und Gedanken findet Ihr in unserem Blog. Vielleicht verleiten Euch die vielen Bilder unseren Spuren zu folgen oder Eure eigenen, neuen Wege zu gehen.
Alle Bilder dieses Interviews unterliegen dem Copyright von Familie Kalaß.
Wir freuen uns immer über Kommentare zu unseren Interviews!